Das Google-Buch
Google
Leben mit der Suchmaschine
Von Eberhard Rathgeb
20. Mai 2005 Das Wort „googeln” steht schon im Duden. Die Wendung „Ich google dir eine” im bekannten Sinne von „Ich semmel' dir eine” ist nicht geläufig. Googeln ist damit erst einmal eine ganz friedliche Handlung - so, wie „im Katalog nachschlagen” ja auch nicht in der Bedeutung von „im Katalog nachsemmeln” auftritt.
Früher, als der lernende Mensch noch vor den Bücherbergen saß und sich auf dem Weg in die ferne Gelehrsamkeit durch diese Massen hindurchlesen mußte, konnte es einem Adepten auf den gut gefüllten und sortierten Kopf passieren, daß er beim Eintritt in eine Klosterbibliothek, die mit alten und meistens in den weitgehend vergessenen Sprachen Latein oder Griechisch geschriebenen Büchern bis an die hohen Decken vollgestopft war, mit den hingehauchten Worten in Ohnmacht fiel: Nicht zu schaffen, das schaffe ich beim besten Willen nicht.
Mediale Menschenfreundlichkeit
Vor Google aber ist noch kein Benutzer, soweit aus der Google-Welt zu erfahren war, in dem bedrückenden, ja vernichtenden Gefühl zusammengebrochen, seine Lebenszeit werde nicht ausreichen, alle Einträge anzuklicken. Das spricht für Google. Das deutet auf eine neue mediale Menschenfreundlichkeit hin. Abgesehen davon, daß googeln in den meisten Fällen wesentlich bequemer ist, als in Katalogen oder dicken Wälzern nachzuschlagen. Das angesammelte Wissen haut heute einen Googler nicht um. Er schaut in die Masse des Wissens, die Google ihm eröffnet, und - klickt.
Google ging im Herbst des letzten Jahres an die Börse. Google beschäftigt dreitausend Mitarbeiter. Google verfügt über einhunderttausend Server. Der Anteil von Google auf dem amerikanischen Markt liegt bei achtundvierzig Prozent, in Deutschland liegt er bei achtzig Prozent. Google ist nicht Gott, sondern eine Suchmaschine. Google ist kein traditionelles Medienunternehmen. Keiner käme heute auf den Gedanken, auf die Straße zu gehen und lauthals zu fordern: Enteignet Google, so, wie vor rund vierzig Jahren junge kritische Gemüter auf die Straße gingen und lauthals „Enteignet Springer” forderten.
Die Linken heute sind anders
Damals wurde mir nichts, dir nichts ein kleiner Strukturwandel der Öffentlichkeit inszeniert und eine Gegenöffentlichkeit mit Flugblättern und Broschüren, Diskussionsveranstaltungen und linken Buchläden eröffnet und am Laufen gehalten. Das alles brauchen die Linken heute nicht mehr dringend. Der antikapitalistische Geist organisiert sich im Netz, so, wie ja auch zum Beispiel der Bundeskanzler im Netz steht und um Aufmerksamkeit winkt. Die einen findet man unter www.indymedia.org, den anderen unter www.bundeskanzler.de.
Das „www” ist heute so etwas wie das Kaufhaus in den deutschen Wirtschaftswunderjahren: Hier konnte man tatsächlich alles finden, was man brauchte. An die Stelle des freundlichen und nur im geheimen sich die Hände reibenden Verkäufers, der einen durch die Welt der Angebote in die gesuchte Abteilung und vor die begehrte Ware führte, ist die freundliche und sich nur im geheimen die Hände reibende Suchmaschine Google getreten.
Es gibt eben alles
Wer etwas über Google und die Welt mit Google erfahren möchte, kann bei Google nachschauen - oder in dem Buch „Die Google-Gesellschaft” herumlesen. Das Buch ist informativ und bietet Einblick in allerlei Gegenden, die manchen vielleicht nicht geläufig sind: Online-Forschung, Online-Beratung, Online-Journalismus, Foren der Gegenöffentlichkeit, Erläuterungen zum Google-Geschäft, Lernwelten und so weiter. Es gibt eben alles: Blusen, Schuhe, Handwerkerbedarf, Küchengeräte, Sportausrüstung.
Für den finanziell potenten Warenkonsumenten war die Eröffnung des Kaufhauses ein einschneidendes seelisches Erlebnis. Die Vorstellung, daß in einem großen Betonkasten alles zu haben war, rumorte in seinem Innern weiter und bereitete den nächsten Besuch vor. Den Googlern ergeht es nicht anders, ein Leben ohne Google wäre kein reiches Leben mehr, wenn Leben denn bedeutet: an der Welt teilzunehmen - indem man sich Wissen über was, wann, wo, wie, wer, womit, wohin, weshalb verschafft.
Ob wir deshalb schon gleich in einer Google-Gesellschaft leben? Erst gab es die Nachkriegsgesellschaft (Schweigen und Zukunft bauen), dann kam die Warengesellschaft (Kapitalismus ist Konsumterror), später die Risikogesellschaft (Wollen wir heiraten?), noch später kam die Erlebnisgesellschaft (Was machen wir denn heute abend?), noch viel später kam die Wissensgesellschaft (Wer nichts weiß, rückt zurück auf Los) und nun - die Google-Gesellschaft (Googler aller Länder, vergoogelt euch). Das ist uns etwas zu vollmundig.
Kai Lehmann, Michael Schetsche (Hrsg.): „Die Google-Gesellschaft”. Vom digitalen Wandel des Wissens. transcript Verlag, Bielefeld 2005. 408 S., br., 26,80 [Euro].
Text: F.A.Z., 20.05.2005, Nr. 115 / Seite 43
Bildmaterial: AP
Leben mit der Suchmaschine
Von Eberhard Rathgeb
20. Mai 2005 Das Wort „googeln” steht schon im Duden. Die Wendung „Ich google dir eine” im bekannten Sinne von „Ich semmel' dir eine” ist nicht geläufig. Googeln ist damit erst einmal eine ganz friedliche Handlung - so, wie „im Katalog nachschlagen” ja auch nicht in der Bedeutung von „im Katalog nachsemmeln” auftritt.
Früher, als der lernende Mensch noch vor den Bücherbergen saß und sich auf dem Weg in die ferne Gelehrsamkeit durch diese Massen hindurchlesen mußte, konnte es einem Adepten auf den gut gefüllten und sortierten Kopf passieren, daß er beim Eintritt in eine Klosterbibliothek, die mit alten und meistens in den weitgehend vergessenen Sprachen Latein oder Griechisch geschriebenen Büchern bis an die hohen Decken vollgestopft war, mit den hingehauchten Worten in Ohnmacht fiel: Nicht zu schaffen, das schaffe ich beim besten Willen nicht.
Mediale Menschenfreundlichkeit
Vor Google aber ist noch kein Benutzer, soweit aus der Google-Welt zu erfahren war, in dem bedrückenden, ja vernichtenden Gefühl zusammengebrochen, seine Lebenszeit werde nicht ausreichen, alle Einträge anzuklicken. Das spricht für Google. Das deutet auf eine neue mediale Menschenfreundlichkeit hin. Abgesehen davon, daß googeln in den meisten Fällen wesentlich bequemer ist, als in Katalogen oder dicken Wälzern nachzuschlagen. Das angesammelte Wissen haut heute einen Googler nicht um. Er schaut in die Masse des Wissens, die Google ihm eröffnet, und - klickt.
Google ging im Herbst des letzten Jahres an die Börse. Google beschäftigt dreitausend Mitarbeiter. Google verfügt über einhunderttausend Server. Der Anteil von Google auf dem amerikanischen Markt liegt bei achtundvierzig Prozent, in Deutschland liegt er bei achtzig Prozent. Google ist nicht Gott, sondern eine Suchmaschine. Google ist kein traditionelles Medienunternehmen. Keiner käme heute auf den Gedanken, auf die Straße zu gehen und lauthals zu fordern: Enteignet Google, so, wie vor rund vierzig Jahren junge kritische Gemüter auf die Straße gingen und lauthals „Enteignet Springer” forderten.
Die Linken heute sind anders
Damals wurde mir nichts, dir nichts ein kleiner Strukturwandel der Öffentlichkeit inszeniert und eine Gegenöffentlichkeit mit Flugblättern und Broschüren, Diskussionsveranstaltungen und linken Buchläden eröffnet und am Laufen gehalten. Das alles brauchen die Linken heute nicht mehr dringend. Der antikapitalistische Geist organisiert sich im Netz, so, wie ja auch zum Beispiel der Bundeskanzler im Netz steht und um Aufmerksamkeit winkt. Die einen findet man unter www.indymedia.org, den anderen unter www.bundeskanzler.de.
Das „www” ist heute so etwas wie das Kaufhaus in den deutschen Wirtschaftswunderjahren: Hier konnte man tatsächlich alles finden, was man brauchte. An die Stelle des freundlichen und nur im geheimen sich die Hände reibenden Verkäufers, der einen durch die Welt der Angebote in die gesuchte Abteilung und vor die begehrte Ware führte, ist die freundliche und sich nur im geheimen die Hände reibende Suchmaschine Google getreten.
Es gibt eben alles
Wer etwas über Google und die Welt mit Google erfahren möchte, kann bei Google nachschauen - oder in dem Buch „Die Google-Gesellschaft” herumlesen. Das Buch ist informativ und bietet Einblick in allerlei Gegenden, die manchen vielleicht nicht geläufig sind: Online-Forschung, Online-Beratung, Online-Journalismus, Foren der Gegenöffentlichkeit, Erläuterungen zum Google-Geschäft, Lernwelten und so weiter. Es gibt eben alles: Blusen, Schuhe, Handwerkerbedarf, Küchengeräte, Sportausrüstung.
Für den finanziell potenten Warenkonsumenten war die Eröffnung des Kaufhauses ein einschneidendes seelisches Erlebnis. Die Vorstellung, daß in einem großen Betonkasten alles zu haben war, rumorte in seinem Innern weiter und bereitete den nächsten Besuch vor. Den Googlern ergeht es nicht anders, ein Leben ohne Google wäre kein reiches Leben mehr, wenn Leben denn bedeutet: an der Welt teilzunehmen - indem man sich Wissen über was, wann, wo, wie, wer, womit, wohin, weshalb verschafft.
Ob wir deshalb schon gleich in einer Google-Gesellschaft leben? Erst gab es die Nachkriegsgesellschaft (Schweigen und Zukunft bauen), dann kam die Warengesellschaft (Kapitalismus ist Konsumterror), später die Risikogesellschaft (Wollen wir heiraten?), noch später kam die Erlebnisgesellschaft (Was machen wir denn heute abend?), noch viel später kam die Wissensgesellschaft (Wer nichts weiß, rückt zurück auf Los) und nun - die Google-Gesellschaft (Googler aller Länder, vergoogelt euch). Das ist uns etwas zu vollmundig.
Kai Lehmann, Michael Schetsche (Hrsg.): „Die Google-Gesellschaft”. Vom digitalen Wandel des Wissens. transcript Verlag, Bielefeld 2005. 408 S., br., 26,80 [Euro].
Text: F.A.Z., 20.05.2005, Nr. 115 / Seite 43
Bildmaterial: AP
junge - 20. Mai, 10:47
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