Deutscher Michel

Freitag, 3. März 2006

Struck verbreitet Irrtum zu Arbeitslosigkeit

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Der alte Sozi Struck redet wieder einmal von Themen, von denen er nichts versteht. Dass diese Leute nicht merken, wie peinlich das ist......

Ich empfehle eine Einführungsveranstaltung Volkswirtschaftslehre an einer guten Universität. Da unserer Regierung aufgrund höherer Einsicht sogenannte Eliteuniversitäten ausgemacht hat, dürfte Peter Struck die Wahl eines solchen Propädeutikums nicht schwer fallen.

Montag, 27. Februar 2006

Helge Schneider als Hitler

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Dani Levy besetzt die Hauptrolle seiner Hitler-Komödie mit einem der grössten Künstler aller Zeiten: Helge Schneider - die Idealbesetzung!

Donnerstag, 30. Juni 2005

WM 2006: Heino will Hymne singen

SPIEGEL ONLINE - 30. Juni 2005, 09:13
URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,362948,00.html
Fußball-WM

Heino will Hymne singen

Volksmusik-Star Heino will beim Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft am 9. Juni 2006 in München die deutsche Nationalhymne singen. "Es wäre der krönende Abschluss meiner Karriere", erklärte der Sänger in einem Interview.

Der blonde Barde hatte 1977 als erster deutscher Sänger die Nationalhymne auf Schallplatte eingesungen. Der "Bild"-Zeitung sagte er jetzt: "Ich habe dafür Schimpf und Schande geerntet. Heute maßt sich jeder an, die Hymne zu singen", so der 66-Jährige.

Erst Anfang Juni hatte die Delmenhorster Sängerin Sarah Connor ihre große Chance verspielt: Beim zweiten Eröffnungsspiel in der Münchner Allianz-Arena dichtete sie die Nationalhymne vor lauter Aufregung um und sang statt "Blüh im Glanze" wenig nachvollziehbar "Brüh im Lichte dieses Glückes". Nachdem sie Hohn und Spott geerntet hatte, entschuldigte sich die Chanteuse überschwänglich dafür, das "Lied der Deutschen" verunstaltet zu haben.

Heino war da erfolgreicher. 1996 hatte er zuletzt die Hymne gesungen - vor dem Abschiedskampf von Box-Profi Henry Maske in der Münchner Olympiahalle. Nicht nur, dass er fehlerfrei sang, er begeisterte auch die Massen: "Es war ergreifend. 16.000 Menschen stimmten damals mit ein", erinnert sich der Musiker, der jetzt auf eine neue Chance hofft.

Samstag, 18. Juni 2005

Blogfreiheit im Wahlkampf

Wahlkampf
Die Blogfreiheit der deutschen Politik
Von Stefan Niggemeier


18. Juni 2005 Ein paar Wochen noch, dann stehen sie wieder vor den Supermärkten, Gartencentern und Fitneßstudios in Bad Oeynhausen und Oer-Erkenschwick, drücken Wählerinnen Rosen in die Hand, Wählern Kugelschreiber und zukünftigen Wählerinnen und Wählern Lutscher. Wenn sie Glück haben, nehmen ein paar Passanten eine Wahlbroschüre und werfen sie zu Hause ungelesen weg. Abends werden sie erschöpft nach Hause kommen, die Wahlkämpfer, aber was soll man sonst machen, um mit dem Wähler zu kommunizieren, in Deutschland, im Sommer 2005.


Bei manchen von ihnen wird, während sie auf dem Kundenparkplatz einen frischen Karton Kulis auspacken, im Büro ein Mann wie Nico Lumma anrufen und nachfragen, ob der Chef sich nicht mit Beiträgen an einem Weblog beteiligen oder selbst eins führen will. Und wenn die Antwort darauf nicht lautet „Was ist ein Weblog?”, dann mit Sicherheit: „Nein, dafür hat der Herr Politiker wirklich keine Zeit, was soll er denn noch alles?”

Lieber Kulis als Dialog mit Tausenden?

Nico Lumma ist IT-Manager der Internetfirma New Media Management und nennt sich „Chief Executive Blogger” des Weblog-Portals blogg.de. Er hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß es ihm gelingen könnte, einen bekannten Politiker von jeder Partei davon zu überzeugen, daß sie etwas nicht verstanden haben, wenn sie glauben, daß es sinnvoller ist, die Zeit mit Kulis vor einem Supermarkt zu verbringen, anstatt die Möglichkeiten zu nutzen, die Blogs bieten, mit Tausenden Menschen ins Gespräch zu kommen.

Blogs? Also gut: In einem Weblog, kurz: Blog, kann jeder ohne Online-Fachkenntnisse Inhalte aller Art im Internet publizieren. Oft sind es öffentliche Tage- oder Notizbücher, die zur Kommunikation einladen: Fremde oder Bekannte kommentieren die Einträge; was interessant ist, wird von anderen Bloggern diskutiert und verlinkt. Blogs sind der Medienhype der Saison. Mehrere zehntausend dürfte es in Deutschland geben. Anders als etwa in den Vereinigten Staaten oder Frankreich, wo die Blogger inzwischen als publizistische Macht wahrgenommen werden, gibt es allerdings bislang kaum deutsche Blogs von politischer Relevanz.

Die Sabinechristianisierung nervt

Die Neuwahlen wären ein guter Anlaß, das zu ändern. „Immer mehr Leute sind genervt von der Sabinechristiansenisierung der Politik”, sagt Lumma. „Dämliches Gelaber” versteht er darunter, Diskussionen, in denen keiner auf den anderen eingehe, und „Placebo-Themen”. Eigentlich wollte Lumma Anfang nächsten Jahres damit anfangen, zu versuchen, die deutsche Weblog-Szene zu politisieren. „Fein säuberlich” vor der Wahl 2006 sollte das geschehen. Nun muß es etwas schneller gehen. Ende Mai machte er in seinem eigenen Blog einen Aufruf. Er suchte: „zehn bis zwanzig Teilnehmer, mit vielfältigen politischen Meinungen”, die darüber schreiben und streiten, wo es langgehen soll in Deutschland und welche Themen gerade zu kurz kommen, die Fakten überprüfen und Meinungen austauschen. Drei Tage später war das „Wahlblog” geboren.

Es ist ein Anfang, nicht mehr und nicht weniger. Viel „halbgares Geblogge”, wie Lumma selbst meint, aber auch viele Kommentare - was genau der Charme sei, weil es dem Ansatz des „Marktplatzes der Ideen” am nächsten komme: „Widerspruch, aber auch Zustimmung generieren, aber gemeinsam mit dem Leser die Ideen vorantreiben.” Ein paar Journalisten sollten noch mitwirken, aber die wollen meistens Geld, und ein paar Politiker, aber die muß er noch überreden. Wenn alles gutgeht, sollen Wahlblogger auch von Parteitagen und Wahlveranstaltungen berichten, live, im Internet, in der ganz eigenen, subjektiven, unverstellten, unprofessionellen Art.

Junge Politiker schreiben selbst

Lumma ist nicht der einzige, der an solchen Anfängen bastelt. „Focus Online” hat gerade damit begonnen, Prominente bloggen zu lassen, darunter vier Politiker. Geplant gewesen sei das schon vor der Ankündigung der Neuwahlen, sagt Chefredakteur Jürgen Marks, und er berichtet, es sei „erstaunlich einfach gewesen, die zu begeistern: Wir haben nicht eine Absage bekommen.” Vielleicht lag das an der Auswahl der Kandidaten: Der grüne Exot Oswald Metzger, SPD-Vorzeigefrau Andrea Nahles, FDP-Allesmitmacherin Silvana Koch-Mehrin, CDU-Übermutter Ursula von der Leyen. „Interessante Leute, die nicht das Wahlprogramm herunterbeten”, sagt Marks. Bedingung von „Focus Online” sei gewesen, daß die Teilnehmer möglichst jeden Tag etwas bloggen und daß sie es selber tun. Geld bekommen sie nicht. Auch wenn noch Coaching und die Ermutigung zu Lockerheit dazugehört - Marks ist euphorisiert von dem neuen Medium: „Müntefering hat mit seiner Ankündigung von Neuwahlen die Blogger aufgeweckt.”

Für die „Focus Online”-Leser, die sonst schlichteste Texte und halbnackte Frauen gewöhnt sind, ist es ein ziemlicher Kulturschock. Einmal hat Frau Nahles aufgeschrieben, wie sie aus einem harmlosen Grund aus dem Kanzleramt kam und in der aufgeheizten Atmosphäre in den Nachrichten gleich von einer Zufällig-aus-dem-Kanzleramt-Herauskommenden zur wichtigen Beim-Kanzler-Gewesenen wurde. Ein andermal erzählte Herr Metzger von seinen Hoffnungen, wieder aufgestellt zu werden. In beiden Fällen empörten sich Leser in den Kommentaren, was für unangenehme Selbstdarstellung das doch sei - sie haben nicht verstanden, daß diese persönlichen, weder von PR-Beraten noch von Journalisten gefilterten Geschichten den Reiz der Politiker-Tagebücher ausmachen. Natürlich kann man als Politiker auch die üblichen Versatzstücke hier noch einmal hineinkopieren. Wie Frau Koch-Mehrin, die unter dem Titel „Mein Programm heißt Freiheit” mit dem Bekenntnis überraschte: „Was wir brauchen, ist mehr Freiheit. Freiheit statt staatlicher Bevormundung. Freiheit für den Bürger, Ausbildung, Partner, Job, Versicherung zu wählen.” Und so weiter.

Blogger sein, heißt ...

Daß ein Text in einem Blog steht, macht ihn noch nicht spannend. „SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter und Grünen-Chefin Claudia Roth sprachen sich ebenfalls für einen harten, aber fairen Wahlkampf aus”, meldet „Wahlblog05”, das angeblich erste Weblog zur Bundestagswahl. Es sucht gerade per Pressemitteilung Autoren und wirbt mit dem erschütternden Satz: „Blogger sein, heißt heutzutage 'in‘ sein.” Was Blogger sein wirklich heißt, erfährt man anderswo: Auf den Seiten von Markus Schlegel zum Beispiel, einem gerade verzweifelnden WASG-Mitglied: „Welch ein unerfreulicher Tag”, schrieb er am Donnerstag. „Die PDS setzt ihren Namen durch, und es sieht so aus, als wäre da noch eine Menge mehr Ungemach, das unseres Weges ist. (...) Man darf auf den Landesparteitag in NRW gespannt sein. Daß wahrscheinlich keine Notwendigkeit besteht, die Stühle am Boden festzuschrauben, um ihren Einsatz als Wurfprojektile zu verhindern, dürfte nur an der ausgesprochen diszipliniert-müden Art von WASG-Parteitagen liegen.”

Eigentlich müßte dieser verkürzte Kampf vor einer scheinbar entschiedenen Wahl ideal sein, um politische Menschen im Netz aktiv werden zu lassen. Vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl war es nicht zuletzt das Gefühl, ohnehin nichts verlieren zu können, das ein SPD-NRW-Blog motivierte, in dem Menschen frei von Einflußnahme schreiben konnten. Hochtrabend gesagt: Wenn der Ausgang ohnehin klar ist, könnte man die nächsten Monate wenigstens nutzen, etwas für die politische Kultur zu tun, Offenheit und Ehrlichkeit demonstrieren, über Inhalte streiten. Während in Frankreich die höchst persönlichen Blogs von Politikern wie Dominique Strauss-Kahn, Sozialisten-Hoffnung und ehemaliger Finanzminister, und dem früheren Premier Alain Juppé Furore machen, haben es in Deutschland noch nicht einmal die Ehemaligen, Außenseiter und Nichts-mehr-werden-Wollenden unter den Politikern ins Netz geschafft. Anscheinend ist die Angst zu groß. Nico Lumma wünschte sich von einem Politiker, daß er mit einem Fotohandy in einem „Moblog” einen Tag in seinem Leben dokumentieren würde. Dessen Berater lehnte ab - aus Sorge, der Politiker könnte dabei nicht gut aussehen.

Latente Technikfeindlichkeit der Eliten

„Es gibt eine latente Technikfeindlichkeit der herrschenden Eliten in Deutschland”, meint Lumma. Zusammen mit der Angst vor dem Kontrollverlust und der deutschen Diskussionskultur, in der man sich am Stammtisch mit Gleichgesinnten auseinandersetzt statt mit anderen Meinungen, erkläre das, warum hierzulande die Politik so zögernd ins Netz findet.


Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.06.2005

Mittwoch, 1. Juni 2005

Paris - Bielefeld

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Dienstag, 10. Mai 2005

"Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs"

DER SPIEGEL 19/2005 - 09. Mai 2005
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,354979,00.html
Kultur

"Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs"

Der Sprachforscher Uwe Pörksen über Franz Münteferings Tiervergleich und den gefährlichen Umgang mit Metaphern


Albert Josef Schmidt
Sprachforscher Pörksen: "Ein Wort kommt nicht aus heiterem Himmel"
Kein Geringerer als der Philosoph Aristoteles bemerkte in seiner "Poetik": "Weitaus am wichtigsten aber ist die richtige Verwendung von Metaphern. Dies allein kann man von keinem anderen lernen, es ist ein Zeichen natürlicher Begabung; denn gute Metaphern erfinden heißt einen guten Blick für Ähnlichkeiten haben."

Hat der SPD-Vorsitzende diesen Blick? Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen Heuschreckenschwärmen und dem expandierenden Kapital, genauer: einer bestimmten Gruppe von Kapitalinvestoren, noch spezieller: einer begrenzten Liste von Private-Equity-Gesellschaften, welche die Länder wechseln und in wacklige Unternehmen investieren, um sie aufzumöbeln oder zu zerschlagen und in kurzer Zeit sehr viel Geld zu machen? Die Überschrift in "Bild am Sonntag" vom 17. April - "Manche Finanzinvestoren fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her" - ist in den vergangenen Wochen zu einer Wolke angewachsen, hinter der die Sonne der Aufklärung mehr und mehr verschwindet. Was wurde verglichen, und was ist der Vergleichspunkt, das gemeinsame Dritte zwischen diesem Typus von Investoren und jenem landlebenden Wanderinsekt mit den kauenden Mundwerkzeugen?

Sehr geehrter Herr Müntefering, Sie sind bekannt für Ihre kurzen und klaren Sätze. Sie sprechen anschaulich, Ihr wichtigster Bildspender ist das Fußballfeld. "Eine Partei braucht zwei Flügel, einen rechten und einen linken, aber die Tore werden in der Mitte geschossen", sagen Sie, oder: "Wer nur in der eigenen Hälfte spielt, kann nicht gewinnen." Jetzt haben Sie sich weit in die gegnerische Hälfte vorgewagt, in vollem Bewusstsein, welches Verteidigungs- und Angriffspotential Sie da vor sich haben, und mit unvorstellbarem Echo. Ich weiß nicht, mit wem Sie Ihre Formulierungen diskutieren und wer für Sie schreibt. Gab es keinen, der Sie davor gewarnt hat, es mit einem Tiervergleich zu versuchen?


Uwe Pörksen, 70, Professor für Deutsche Sprache und Ältere Literatur, lebt in Freiburg im Breisgau. Er veröffentlichte zuletzt die Bücher "Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede" (Verlag Klett-Cotta, 2002) und "Was ist eine gute Regierungserklärung? Grundriss einer politischen Poetik" (Wallstein Verlag, 2004)
Tiervergleiche können harmlos sein, "Spatz" und "Maus" sind Kosenamen, Löwen und Adler waren Herrschaftszeichen der Kaiser und Könige, und wenn seinerzeit ein Konrad Adenauer als "alter Fuchs" erschien, drückte sich darin humoristischer Respekt aus. Aber die Bundesrepublik hat auch ihr trübes Metaphernkapitel. Interessanterweise waren es in den sechziger und siebziger Jahren (und noch bis in die achtziger) vor allem die Intellektuellen, Schriftsteller, protestierende Studenten, die von führenden Politikern als "kleine Pinscher", "Ratten und Schmeißfliegen" tituliert wurden, einmal sogar als "Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich" sei. Oder es hieß krachledern und pompös: "Was wir hier in diesem Land brauchen, sind mutige Bürger, die die roten Ratten dorthin jagen, wo sie hingehören - in ihre Löcher."

Natürlich stand damit fest, dass die Angreiferseite faschistischen Geistes sei. Es war ein elendes, eingespieltes Spiel und vor allem insofern betrachtenswert, als das Gegenüber erstarrter Bilder von der Sache ablenkte, die zu verhandeln gewesen wäre.

Man berief sich dabei gern auf das "Wörterbuch des Unmenschen", das wie eine Art Nazi-Detektor verwendet wurde. Im Ursprung war dies eine Essay-Sammlung von Sternberger, Storz, Süskind über Wörter wie "Menschenbehandlung", "intellektuell", "organisieren", "Betreuung", die in der NS-Zeit eine gefährliche Bedeutung erhalten und das öffentliche Denken vergiftet hatten.



AP
SPD-Vorsitzender Müntefering: Weit in die gegnerische Hälfte vorgewagt
Wenn jemand ein Wort verwendete, das nach dem "Wörterbuch des Unmenschen" aussah oder in der NS-Zeit tatsächlich gebraucht worden war, hielt man ihn für entlarvt. Tatsächlich ist das Wort keine so selbständige Größe, es erhält seine Bedeutung nicht nur aus seiner Geschichte, geschweige aus einer bestimmten epochalen Prägung, sondern ebenso sehr aus seinem aktuellen Gebrauch, durch den Sprecher, der es verwendet, und den Sinn, den er ihm in seinem konkreten Zusammenhang gibt. Es ist plastisch. Die starre Entlarvungstechnik ist Unfug.

Aber auf der anderen Seite gilt: Ein Wort kommt nicht aus heiterem Himmel. Ihm haftet Geschichte an. Münteferings Heuschreckenschwärme sind archaischen Ursprungs, sie stammen aus dem Alten Testament, 2. Buch Mose, Kapitel 10: "Die achte Plage". Als Ägyptens Pharao Mose nicht gestatten wollte, das Volk Israel aus ägyptischer Knechtschaft in das Land der Verheißung zu führen, sandte Jahwe, der Herr, zehn Plagen, unter ihnen Stechmücken, Viehpest, Blattern und eben auch Heuschrecken. Es herrschte Ostwind, und sie kamen, so viele wie nie zuvor. "Denn sie bedeckten den Erdboden so dicht, dass er ganz dunkel wurde. Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs, und alle Früchte auf den Bäumen, die der Hagel übrig gelassen hatte, und ließen nichts Grünes übrig an den Bäumen und auf dem Felde in ganz Ägyptenland." - Donnerwetter! Tania Blixen hat die Heimsuchung ihrer Farm in Afrika durch eine Heuschreckenwolke genauso beschrieben.

Ob der Vorsitzende der SPD diesen Ursprung seines Vergleichs vor Augen hatte? Er scheint ihn öfter verwendet zu haben, zuerst wohl schon vor einem halben Jahr. Am 19. November 2004 sagte er gegen Schluss eines öffentlichen Vortrages in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin: "Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben. Kapitalismus ist keine Sache aus dem Museum, sondern brandaktuell." - Der Passus blieb unbeachtet.

Eine Rede auf dem 3. Programmforum der SPD am 13. April im Willy-Brandt-Haus in Berlin, bei der die Presse zugegen war, enthielt dann den Sachkern seiner Kapitalismuskritik in eingehend fundierter und verschärfter Fassung, allerdings ohne das Bild der Heuschreckenschwärme. Auch hier scheint die erste Wirkung verpufft zu sein. Man ging, wird berichtet, auseinander in dem Gefühl, es sei eine gute, aber nicht besonders auffällige Rede gewesen.



IG-Metall-Zeitschrift: Suggestives Insektenbild
Vor allem das Interview der "Bild am Sonntag" bewirkte die Initialzündung. Die Rede vom 13. April war eine sachlich begründete Analyse gewesen, jetzt, im Interview, wechselt Müntefering den Sprachtyp. Wir erleben ein Drama, eine Geschichte. Ein Einzelner wettert gegen die "wachsende Macht des Kapitals", wehrt sich gegen "Leute aus der Wirtschaft und den internationalen Finanzmärkten, die sich aufführen, als gäbe es für sie keine Schranken und Regeln mehr" und wendet sich gegen Investoren, die "keinen Gedanken an die Menschen" verschwenden, "deren Arbeitsplätze sie vernichten". Ein Einzelner kämpft, ist empört, urteilt und visualisiert sein Gegenüber: "Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir." - Woher die Wirkung?

Das Bild erlaubt eine Gestaltwahrnehmung. Abstrakte und komplizierte Vorgänge, denen der Akteur und eine Sinnrichtung zunächst zu fehlen scheinen, werden als Geschehen und Handlung vorstellbar und griffig. Man übersieht sie mit einem Blick, in einem Wort, und versteht: Heuschreckenschwärme vernichten unsere Arbeitsplätze. Die alte dem Bild zugeschriebene Funktion, dem, der nicht genug Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen, erfüllt sich.

Eine zweite Seite der Sache: Das Bild wirkt wie ein Argument. Wir nehmen ihm ab, was es sagt - und zwar im doppelten Sinn. Wir erschließen es aus dem Bild und folgen ihm, zumindest eine Strecke.

Die dritte Wirkung betrifft das Gebiet der Gefühle. Alles ist plausibel sichtbar und eingebettet in Gefühle und Wertungen. Anschauung und Gefühl hängen aufs engste zusammen. Wer intensiv etwas wünscht oder gereizt ist, neigt dazu, seinem Gefühl einen Anhalt, dem Gegner einen Umriss zu geben. Das Wort "Feindbild" ist ein sehr richtiger Ausdruck; der Feind ist nur in Bildern zu fassen.



DPA
Heuschrecken-Plage (Fuerteventura, 2004): Bildspender für archaische Wortfigur
Man kann diese trübsinnige Geschichte durch die Jahrhunderte verfolgen, auch ihre komische Seite. Als der junge Parzival auf der Gralsburg die Frage versäumt hat, die Anfortas von seinem Leiden erlöst hätte, wird er von der Gralsbotin Cundrie gescholten; "Natternzahn" nennt sie ihn und, offenbar das Äußerste des Äußersten: "Anglerfliege".

Die Geschichte des Christentums, die seiner Kriege mit den Ungläubigen, ist von Tiervergleichen begleitet. Im deutschen "Rolandslied" (um 1170) werden die Heiden, die an Mohammed glauben, mit heulenden, vertriebenen Hunden verglichen und auf der Flucht "sam daz vihe" - wie das Vieh - getötet. Der Vergleich der Gottlosen mit Hunden und Schweinen hat im Neuen Testament, in dem 2. Brief des Petrus, eine Quelle: Es seien unvernünftige Tiere, "die von Natur dazu geboren sind, dass sie gefangen und geschlachtet werden". Im "Wilhelm"-Epos des Wolfram von Eschenbach, auch dies eine Kreuzzugsdichtung (um 1220), widerspricht der Dichter ausdrücklich seinem rigorosen Vorgänger. Er nennt das Kriegsgeschehen dreimal "Mord" und erklärt es für große Sünde, die Fliehenden wie das Vieh zu erschlagen. Sie seien alle Gottes Handarbeit ("hantgetât"), die 72 Völker, die er habe.

Ein fataler, ihre Adressaten brutal erniedrigender Assoziationsraum sind die Feindbilder der NS-Zeit, die Bilder von Parasiten, Maden, Ungeziefer und die zu ihnen gehörenden Tätigkeitswörter: ausmerzen, vertilgen, vernichten. Mit Recht gilt die Grenze vor dieser Sprachwelt als unüberschreitbar.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Wo liegt der Vergleichspunkt, das Tertium Comparationis, das gemeinsame Dritte, wenn eine in Deutschland neue Investorengruppe als "Heuschreckenschwarm" bezeichnet wird? Ist es die Kleinheit der Agenten? Doch wohl kaum. Ist es ihre Unzahl? Das scheint eher gemeint gewesen zu sein. Dem Bild der verheerenden Heuschreckenwolke verdankt der Vergleich einen erheblichen Teil seiner Wirkung. Ob es zutrifft auf die am Ende kleine Liste der Gemeinten, ist eine ganz andere Frage. Sind es die Kauwerkzeuge, der Kahlfraß? Daran vor allem war ausdrücklich gedacht, an das Abgrasen und Liegenlassen; hier bedürfte es aber eingehender Beweisführung. Ist es der biblische Zusammenhang? Investoren als Plage und als Strafe Jehovas? - Kommt nicht in Frage.

Der Einbruch einer gedankenlosen, blinden Naturgewalt? - Der Vergleich hinkt auf mehr als zwei Beinen, an dieser Stelle wird ein grundfalscher Begriff erzeugt. Die Ökonomie ist keine Natur-, sondern eine Kulturgewalt. Sie folgt nicht einer blinden, sondern ihrer eigenen Logik, ihren Spielregeln. Das Kernproblem ist, dass diese Spielregeln sich zwar für die Sozietät günstig auswirken können, aber nicht müssen. Sie sind von Haus aus keine Sozialwerkzeuge und können schaden. Zwischen der Räson der Ökonomie, insbesondere der Weltökonomie, und der Räson des Nationalstaats ist eine sich rasch vertiefende Kluft entstanden. Dafür, für die soziale Verantwortung und Bindung der Ökonomie, fehlt ein Rezept, fehlen vielleicht sogar praktikable Vorschläge. Umso schiefer der Vergleich!

Ein Reiz kann eine Debatte fördern, sogar erst hervorbringen. Man sollte das Einzelwort als Größe nicht überschätzen, es kommt auf den Kontext an. Vielleicht waren die Heuschreckenschwärme nur als Reizvokabel, als Tabubrecher gemeint? Nicht ungefährlich - doch nichts wäre nutzloser als eine Bilderstarre. Aber wenn die Tierchen als Türöffner wirkten, wäre viel gewonnen.

Mehr: Heuschreck.com

Freitag, 29. April 2005

Macht und ökonomisches Gesetz

Kommentar
Macht und ökonomisches Gesetz
Von Patrick Welter


28. April 2005 Die Kapitalismusschelte des Franz Müntefering steht für mehr als den Versuch des SPD-Vorsitzenden, die Wahl in Nordrhein-Westfalen noch herumzureißen. Sie steht ebenso für die Panik, die Politiker angesichts der Wachstumsschwäche erfaßt hat.


Sie steht für die Verzweiflung, die sich in der Bevölkerung angesichts der zunehmend freien Weltmärkte ausbreitet. Und sie steht für die Furcht vor 74 Millionen Menschen in den neuen EU-Staaten, vor 1,1 Milliarden Indern und vor 1,3 Milliarden Chinesen, die nichts sehnlicher erhoffen, als durch den Verkauf ihrer Produkte und Dienstleistungen ihr karges Leben zu verbessern.

Kampf gegen das ökonomische Gesetz ...

"Wir wollen nicht zusehen, wie Geld die Welt regiert." In diesem Satz von Müntefering kristallisiert sich das Gefühl, der Globalisierung ohnmächtig gegenüberzustehen. Diese Sorge treibt die Versuche der Bundesregierung, mit Mindestlöhnen, mit der Behinderung der Dienstleistungsfreiheit in der EU und mit Quoten für chinesische Textilprodukte den Wettbewerb auszuschalten. All diese Schritte dienen einem Ziel: das Primat der Politik über den Markt zu sichern. Den Kampf gegen das ökonomische Gesetz aber kann die Politik nicht gewinnen - und sie hat ihn bei näherer Betrachtung auch noch nie gewonnen.

Am Beispiel der Verteilung des Volkseinkommens zwischen Arbeit und Kapital stellte der österreichische Ökonom und Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk schon 1914 die Frage: "Macht oder ökonomisches Gesetz?" Seine Antwort ist heute noch gültig. Wenn "soziale Macht" sich gegen den Markt stellt, verliert sie immer. Den Versuch, die natürliche Verzinsung des Kapitals zugunsten der Arbeiterschaft oder des Staates zu schmälern, bestraft der Markt mit weniger Produktion, Investition und Beschäftigung. Die Politik kann die ökonomischen Gesetze abstreiten, sie kann aber nur im Rahmen der ökonomischen Verhältnisse handeln. Akzeptiert sie dies nicht, ruiniert sie eine Volkswirtschaft - zuerst unmerklich, dann mit voller Wucht.

... mit verheerenden Folgen

Zu beobachten ist ebendies in Deutschland. Die Wachstumsschwäche ist nicht Folge einer schwachen Konjunktur. Sie ist Folge einer über Jahrzehnte aufgebauten Massenarbeitslosigkeit, verursacht durch das politische Verlangen nach Steuergeldern und Umverteilung und durch das noch zur Zeit der deutschen Einheit herrschende Lohndiktat der straff organisierten westdeutschen Arbeiterschaft. Das Trendwachstum läge nicht bei magerem einem, sondern bei soliden zwei oder drei Prozent, ließen Bundesregierung und Gewerkschaften den Arbeitslosen die Chance, sich zu niedrigeren Löhnen Arbeit zu suchen.

Die politisch gewollte Integration der neuen EU-Staaten, Indiens und Chinas in die Weltwirtschaft hat die ökonomischen Verhältnisse grundlegend verändert. Arbeit ist reichlicher vorhanden, und Kapital ist knapper geworden. Unvermeidbar steigt der Kapitalzins im Verhältnis zum Lohn. Die Gewinne der Unternehmen steigen, die Löhne fast gar nicht mehr. Der Versuch, sich dagegen mit Mindestlöhnen oder der teilweisen Schließung der Grenzen zu wehren, bedeutet den Verzicht auf mehr Wohlstand hierzulande.

Offene Märkte

Die Deutschen wären nicht so wohlhabend, wie sie es trotz aller Probleme noch sind, hätten ihnen andere Länder nicht nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Märkte geöffnet - und hätten sie ihre Märkte nicht für andere geöffnet. Deutschland profitiert auch heute von der internationalen Arbeitsteilung. Der Außenhandel ist das einzige, was läuft. Real hätten die Deutschen erheblich weniger im Portemonnaie, gäbe es keine Autos aus Rumänien, Kleidung aus China und Computerprogramme aus Indien und würden Rumänen, Inder und Chinesen nicht deutsche Waren kaufen. Weder moralisch noch ökonomisch, weder im eigenen noch im Interesse anderer ist es zu rechtfertigen, sich dem Handel mit Waren, Diensten und Kapital zu versperren.

Vorgetäuschte Ohnmacht

Die Ohnmacht der Politik ist vorgetäuscht. Das Potential an Deregulierung, Subventionsabbau und weniger staatlicher Bevormundung ist noch lange nicht ausgereizt. Eine kluge Wirtschaftspolitik erleichtert die Anpassung an wirtschaftliche Verhältnisse, sie stellt sich ihr nicht in den Weg. Die Bevölkerung fühlt sich zu Recht ohnmächtig, weil für viele das Realeinkommen fällt und die Arbeitslosigkeit drückt. Die Kritik am Markt aber richtet sich an die falsche Adresse.

Ausgehöhlte Marktwirtschaft

Jahrzehntelang sind die Einkommen in Deutschland gestiegen. Das half darüber hinwegzusehen, daß die Politik die Marktwirtschaft aushöhlte. Sie finanzierte die Verheißung der sozialen Absicherung zunehmend auf Pump. Sie gab den Deutschen das Gefühl, Soziale Marktwirtschaft bedeute die Kontrolle des Marktes durch das Soziale. Das hatte Ludwig Erhard nicht gemeint. Das Soziale an der Sozialen Marktwirtschaft war ihm, daß die Menschen in einer freiheitlichen Ordnung sich selbst Wohlstand erarbeiten können. Der Staat sollte sie dabei nicht stören. Seine Fürsorgepflicht besteht nur für diejenigen, die für sich selbst nicht sorgen können. Mit umfassenden sozialen Zwangsversicherungen, mit staatlichen Eingriffen in die Preissetzung am Arbeitsmarkt und mit protektionistischem Mauerbau hat eine Soziale Marktwirtschaft nichts gemein - weil dies Millionen Menschen die Möglichkeit nimmt, selbst für sich zu sorgen.

Unbegründete Angst

Der internationale Wettbewerb reißt nun das Kartenhaus des deutschen Wohlfahrtsstaats ein. Er legt offen, daß die Politik nur verteilen kann, was am Markt erwirtschaftet wurde. Die Angst der Deutschen vor der Veränderung ist verständlich. Sie ist aber unbegründet. Je eher die Politik lernt, daß politische Macht gegen den Markt nichts ausrichten kann, desto schneller findet Deutschland zur Sozialen Marktwirtschaft und zu früherer Wachstumskraft zurück - und desto schneller finden Erwerbslose wieder Arbeit.


Text: F.A.Z., 29.04.2005, Nr. 99 / Seite 13

Freitag, 11. März 2005

Gesetzentwurf: Rot-Grün zwingt Manager zur Veröffentlichung ihrer Gehälter

SPIEGEL ONLINE - 11. März 2005, 13:32
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,345859,00.html
Gesetzentwurf

Rot-Grün zwingt Manager zur Veröffentlichung ihres Gehalts

In Deutschland müssen alle börsennotierten Unternehmen künftig einmal pro Jahr die genauen Gehälter der Vorstände nennen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries legte am Freitag in Berlin einen entsprechenden Gesetzentwurf vor.

Börsenplatz Frankfurt: Vorstände geraten unter gesetzlichen Druck
Berlin - Die rot-grüne Bundesregierung zieht damit die Konsequenz aus der Weigerung mehrerer großer Unternehmen wie DaimlerChrysler , BMW oder BASF , die Gehälter der Top-Manager freiwillig anzugeben. Zypries verwies darauf, dass von den 30 DAX-Unternehmen nur etwa 70 Prozent genaue Angaben machen.

Die Ministerin bedauerte, dass die Unternehmen ihrer "freiwilligen Selbstverpflichtung" zur Offenlegung der Gehälter nicht nachgekommen seien. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass börsennotierte Aktiengesellschaften künftig im Anhang zum Jahresabschluss für jedes einzelne Vorstandsmitglied die gesamten Bezüge angeben. Dabei ist zu unterscheiden nach erfolgsunabhängigen oder erfolgsbezogenen Bestandteilen sowie nach Bestandteilen mit "langfristiger Anreizwirkung". Gesetze gibt es bereits in den USA und Kanada aber auch in Großbritannien, Frankreich und Italien.


Das geplante Gesetz wird von der Regierungskommission für gute Unternehmensführung, der Deutschen Corporate Governance Kommission, unterstützt. "Die Entscheidung der Bundesjustizministerin, Eckpunkte eines Gesetzentwurfs vorzulegen, nach dem die Managergehälter individualisiert offen zu legen sind, ist konsequent", sagte der Vorsitzende der Kommission, Gerhard Cromme.

Die Chance auf eine Selbstregulierung sei von der Wirtschaft in diesem Punkte verspielt worden, sagte Cromme, der aber insgesamt ein durchweg positives Fazit der Wirkung des Kodexes zog: "Der Kodex ist nach drei Jahren auf Erfolgskurs." Im Durchschnitt würden nach einer jüngsten Erhebung 70 der 72 Empfehlungen von den 30 Dax-Firmen befolgt, sagte Cromme. Auch bei den Firmen des MDax und des SDax, in denen kleinere Firmen notiert sind, sei die Entwicklung positiv

Diskussionsbedarf in der Kommission gebe es angesichts von EU-Regelungen insbesondere in den Punkten Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder und der Formulierung von Unabhängigkeitskriterien. Auch die strittige Frage, ob ehemalige Vorstandschefs gleich nach Ausscheiden aus dem Vorstand als Aufsichtsratschefs bestellt werden sollten, sei noch zu diskutieren.

Beobachter unterstützen Zypries' Vorstoß. "Solche Regelungen sind in den meisten entwickelten Kapitalmärkten der Normalfall. Das Gesetz ist richtig", sagte der Corporate-Governance-Experte Theodor Baus gegenüber SPIEGEL ONLINE.

Montag, 7. März 2005

Gesellschaft: Die Armen sind die Avantgarde

Gesellschaft
Die Armen sind die Avantgarde
Von Georg Diez


07. März 2005 Wenn die Frau aufblickt, dann sieht sie einen Raum mit grauem Teppich, Neonlicht und ein paar blinkenden Automaten. Wenn sie aufblickt, dann sieht sie die sechs anderen Menschen, die hier sitzen und auf etwas warten, auf das Geld oder das Glück oder sonstwas. Wenn sie aufblickt, dann sieht sie die kleine Plastikkuppel, unter der sich etwas entscheidet, das sie nie und nimmer Schicksal nennen würde.


Aber die Frau blickt nicht auf. Sie hat einen lila Pullover an, sie ist Mitte Fünfzig, neben ihr auf dem Boden steht ihre Handtasche. Sie starrt auf den Bildschirm vor ihr, auf dem es schwarze Felder gibt und rote und verschiedene Zahlen. Sie blickt nicht auf, wenn die weiße Kugel unter der Plastikkuppel langsamer wird und in eines der Felder kippt. Sie blickt nicht auf, wenn sie Geld verliert. Und sie blickt nicht auf, wenn sie Geld gewinnt.

Sie blickt nicht mal auf, als sie geht.


Aufstiegstraum: Einzug in den Container
Sie verschwindet einfach, der Stuhl steht da, als wäre sie nie hier gewesen. Sie ist die unsichtbare Frau, sie ist aus der unsichtbaren Schicht, sie war unsichtbar, sogar als sie da war. Sie ist die Frau aus der Unterschicht.

Die Angst ist eine Zahl

All die Jahre ist sie unsichtbar gewesen, all die Jahre, in denen es Deutschland erst immer besser ging und dann nicht mehr ganz so gut und schließlich deutlich weniger gut - aber so schlecht wie heute, schreit es einen dauernd an, so schlecht ging es uns schon lange nicht mehr. Anfang der Woche kam die Nachricht aus Nürnberg, und seitdem ist die Angst eine Zahl: 5,2, fünfkommazwei.

Und auf einmal ist da wieder jemand.

Die Frau, die vor der Plastikkuppel sitzt, unter der sich das Rouletterad dreht. Der junge Mann, der sein Arbeitslosengeld sofort ins Tattoostudio trägt. Die Frau von dreißig Jahren, die die Treppe zum Sonnenstudio hochsteigt, blaß wie sie ist. Der Mann, der um elf Uhr vormittags sein drittes Pils trinkt und dafür recht elegant die Bowlingkugel auf die Bahn bringt. Sie alle sind da, auf einmal und wie abgesprochen, in den Zeitungen, in der Politik und im Soziologieseminar von Paul Nolte oder Harald Schmidt.

Sie sind die Unterschicht, und wer wissen will, wohin sich dieses Land entwickelt, der sollte ernst nehmen, was diese Schicht bewegt.

Der sollte sich dafür interessieren, welche Musik sie hören und wann sie zuletzt ein Buch gelesen haben und welches Handy sie besitzen und wie lange sie im Internet surfen und welche Fernsehprogramme sie sehen. Der sollte mit ihnen zum Einkaufen gehen und sich an Tankstellen treffen und in der Küche sitzen. Der sollte die Kultur der Unterschicht kennen.

Sie wurde immer präsenter

Denn, seltsames Paradox des kulturellen Austauschs: Während die Unterschicht gesellschaftlich, politisch, ökonomisch immer unsichtbarer wurde und langsam verschwand, war sie ästhetisch immer vorhanden, wurde sie in den letzten Jahren sogar noch präsenter, wird sie das nächste Jahrzehnt bestimmen. Nicht nur durch das, was Harald Schmidt „Unterschichtenfernsehen” nannte. Sondern durch Bildwelten, Sprachveränderungen, Mediennutzung, Körperkult, Zeitvertreib. Durch eine kulturelle Praxis, die das vorwegnimmt, was die Gesellschaft in ein paar Jahren bewegen wird.

Es ist dieser in der Kultur des 20. Jahrhunderts immer wieder zu beobachtende Kreislauf, bei dem sich die Mehrheitskultur ihre Inspiration, ihre Kraft, ihre Neudefinition genau bei denen sucht, die sie sonst nicht sehen will. Mit anderen Worten: Was die Unterschicht heute denkt und tut, das erreicht morgen die Mittelschicht. Das einfachste Beispiel dafür ist das mit den Tattoos.

Einst Hafentradition, nun Kunst am Körper

Ein Vormittag in Neukölln, an der Grenze zu Kreuzberg. Melanie ist 32, sie hat grellblond gefärbte Haare und sehr kräftige Arme, um die sich Drachen ranken. Sie war im Heim, sie hat Drogen genommen, sie hat es geschafft. „Früher”, sagt sie, „sind die Proleten gekommen.” Heute kommen die Hausfrauen, die Bankangestellten, die Krankenschwestern. „Vor zwanzig Jahren”, sagt sie, „war das noch Hafentradition.” Heute ist es Kunst am Körper.

Seit etwas mehr als einem Jahr führt Melanie ihre eigene Tätowierstube, ein schmaler Raum, die Wände rot gestrichen, der Tresen mit Leopardenfell verkleidet. Vor kurzem war die Sängerin Bintia da, die sanften R'n'B macht, wie sie es hier gern mögen, und hat sich eine große Rose auf den Rücken stechen lassen. „Früher war Tätowieren vielleicht mal asozial”, sagt Melanie, die viel zu stolz ist, auf das, was sie geschafft hat, als daß es sie interessieren würde, ob Feuilletonisten sie als White Trash bezeichnen.

Fixierung auf den Körper

Diese Körperkultur, wie sie Melanie praktiziert, ist ein fast schon klassisches Beispiel für die ästhetische Durchlässigkeit zwischen Unterschicht und Mittelschicht. Das ist bei den Sonnenstudios so, das ist bei den Fitneßstudios so, das ist letztlich auch bei Spike so, dem Go-Go-Tänzer in der Diskothek „Palace” in Wedding, der eigentlich Steuerangestellter gelernt hat und jetzt im String-Tanga tanzt oder sich im Separee für vier Strip-Dollar auszieht - diese Fixierung auf den Körper als kulturelle Praxis ist auch im Rest der Gesellschaft schon so selbstverständlich geworden, daß gar nicht mehr deutlich ist, wo sie eigentlich herkommt.

Schwieriger ist es mit einem anderen Faktor, der immer stärker ins Bewußtsein der Unterschichtenkultur drängt: mit der Zeit und, damit verbunden, der Einsamkeit. „Papa, warum bist du den ganzen Tag zu Hause?” hat am Mittwoch der 10jährige Markus seinen Vater gefragt, in der „Bild”, auf der ersten Seite, ganz groß und ganz traurig. 24,6 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in Neukölln, 25,3 Prozent in Friedrichshain-Kreuzberg.

Am Rand der bürgerlichen Kultur

In dem Shopping Center am Hermannplatz mit der Leuchtreklame „Neue Welt” ist die Bowlingbahn gut besucht, auch der Bauhaus-Heimwerkermarkt, auch die Spielbank Berlin mit ihren Automatenspielen. Dort starren die Menschen auf die Erdbeeren und Sterne, die sich vor ihnen drehen, wie postindustrielle Existenzen, ganz zurückgeworfen auf sich selbst, am äußeren Rand der bürgerlichen Kultur.

Wenn man davon ausgeht, daß in der bürgerlichen Kultur die Zeit gefaßt wird, gerafft, gebündelt, dann geht es in der unterbürgerlichen Kultur geradezu darum, die Zeit zu vernichten. Die Mittelschicht kennt vielleicht die Angst. Die Unterschicht lebt mit den Konsequenzen.

Und die Veränderungen sind rasant. Die Auflösung ganzer Milieuformen sieht etwa Wolfgang Kaschuba, Professor für Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität. Er spricht von der Individualisierung, die die Unterschicht besonders hart trifft, weil mit dem Verschwinden der klassischen Organisationsformen wie Verein oder Arbeit das Wir-Gefühl verlorengeht. Ein Drittel der Gesellschaft zählt er zur Unterschicht, nach Kriterien wie Arbeitslosigkeit, Bildung, Einkommen, Milieu.

Wachsende Vereinzelung

Es gibt immer weniger kinderreiche Unterschichtsfamilien, es gibt mehr Singles, mehr Getrennte. Die Vereinzelung führt zu neuen Formen der Organisation, von der Wiederkehr der Eckkneipe, in der sie die Bundesliga auf „Premiere” zeigen, bis zur Tankstelle, die vor allem in ländlichen Gegenden eine Mischung aus Jugendtreff, Disco und Kneipe ist. Das wichtigste Feld der kulturellen Selbstdefinition dieser Schicht allerdings, sagt Kaschuba, das ist ganz klar das Shopping.

Und was Shopping unter den Bedingungen sinkender Wirtschaftskraft bedeutet, das kann man zum Beispiel in den Gropius-Passagen in Neukölln beobachten, Berlins größtem Einkaufszentrum, ein verschachteltes Gebäude voller Kunstlicht-Schneisen. Thai Nippon, Holsteiner Räucherkate, Drospa, Ihr Punkt, Life Club, Barmer Zahnärzte. Falsche Musik und falsche Natur. Früher hätte man gesagt: Entfremdet. Heute kann man fragen: Wovon?

Shopping trägt zum Selbstbild bei

Hier gibt es zwei riesige Elektromärkte, weil es ohne Dolby-Surround-System eben gar nicht mehr geht; hier verkaufen sie Fernseher, für die sich ganze Familien verschulden; hier gibt es Kaufhäuser und Eisdielen und Tiergeschäfte; hier wird Shopping als eine kulturelle Disziplin definiert, wie man Zeit verbringen kann, sogar ohne etwas zu kaufen. Shopping, wie es hier praktiziert wird, faßt den Konsum als etwas auf, das wesentlich zum Selbstbild beitragen kann. Shopping kann aber auch heißen, daß man nur dabei ist, wenn andere kaufen.

Wie weit diese konsumistische Kulturdefinition geht, die die Mittelschichten noch nicht mit voller Härte erreicht hat, das sieht man daran, daß die Bewohner der umliegenden Hochhäuser auf die Frage nach ihrem Lieblingsort im Viertel recht häufig den eigenen Balkon nannten, aber auch die identitätsstiftenden Wandelhallen der Gropius-Passagen.

Was tun die Frauen?

Viele Fragen sind in diesem Zusammenhang aber noch offen, meint Wolfgang Kaschuba. Was tun etwa die jungen Frauen der sehr männlich dominierten Unterschicht? Welche Entwürfe gibt es für eine Jugendkultur? Vor allem aber welche Rolle spielen die neuen Medien?

Und in diesem Punkt sieht man, wer mit welchem Blick auf dieses Phänomen blickt. Da gibt es jemanden wie den Philologen Norbert Dittmar von der Freien Universität Berlin, der in einer Studie belegen will, daß die sprachlichen Fähigkeiten der Unterschichten seit den siebziger Jahren zurückgegangen seien.

1906 seien die Statistiken zum Analphabetentum in Deutschland abgeschafft worden, weil der Prozentsatz verschwindend gering war, heute gebe es vier Millionen Menschen, die nicht lesen und schreiben können. Ob sich die Verschlechterung der Sprachfähigkeit allerdings, wie Dittmar meint, durch die neuen Medien erklärt, diesen Schluß würde Wolfgang Kaschuba zum Beispiel nicht mitmachen. Gerade Handys, die ja so wichtig sind für diese Schicht, oder auch das Internet würden ganz neue Möglichkeiten eröffnen, meint Kaschuba.

Nichts. Gar nichts

So ist das mit Tassilo. Wenn Professor Dittmar ihn besuchen würde in der engen Wohnung in Wedding, wo seine Mutter wohnt und die beiden Katzen, dann würde er wohl einen dicken, blassen Jungen von zwanzig Jahren sehen, für Dittmar Zeichen der Unterschicht, die in Gestik und Mimik weitgehend undifferenziert ist und deren Körpersprache oft glatte Ablehnung ausdrückt. Tassilo hält die Arme eine ganze Stunde vor der Brust verschränkt, und auf die Frage, was er macht, sagt er „gar nix”.

Für den Professorenkollegen Kaschuba allerdings wäre Tassilo ein gutes Beispiel dafür, wie abgekoppelt, aber auch adaptionsfähig diese Schicht tatsächlich ist. Tassilo geht praktisch nie aus dem Haus, er schaut kein Fernsehen, er hat noch nie ein Buch zu Ende gelesen, er kauft sich keine Musik, er geht nicht ins Kino. Er lebt im Internet. Er lädt sich alles herunter, die Musik, die er hört, Hip-Hop, Trance und Andrea Bocelli, die Kinofilme, die er schaut, zuletzt „Meine Frau, meine Schwiegermutter und ich”. Und vor ihm auf dem Tisch liegt ein Nokia-Handy für 450 Euro.

Eine unsichtbare Existenz

Das Telefon braucht er im Grunde nicht, er kommuniziert nur über das Internet. Er verdient auch ein bißchen Geld im Internet, indem er Webspace vermietet. Er liest viel, sagt er, zusammengenommen sind die ganzen Websites in einem Jahr wohl soviel wie hundert Bücher. „Ich versuche mir da, eine Existenz aufzubauen”, sagt er. Eine unsichtbare Existenz, unsichtbar wie die Frau vor dem Spielautomaten, unsichtbar wie der Mann in der Bowlingbahn, unsichtbar wie die Frau im Sonnenstudio, unsichtbar wie der Mann im Tattoo-Studio.

„Die junge Unterschicht”, sagt Wolfgang Kaschuba, „ist dabei, sich ganz eigene Kompetenzen anzueignen durch den Umgang mit der Technik.” Es ist eine zutiefst verunsicherte Schicht, die sich in solchen Momenten zeigt, eine Schicht, die uns stark prägen wird.

Man kann fast sagen, daß die Unterschicht eine Avantgarde ist. Sie zeigen uns, wie viele von uns in Zukunft leben werden.


Mitarbeit: Mareen van Marwyck, Daniel Boese


Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.03.2005, Nr. 9 / Seite 25
Bildmaterial: AP, dpa/dpaweb

Sonntag, 6. März 2005

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