Mittwoch, 2. Februar 2005

Spracherkennungssoftware vor dem Durchbruch

Aus dem gesprochenen Wort wird fehlerfreier Text
Von Michael Spehr


02. Februar 2005 Wer in den vergangenen Jahren die Entwicklung der Spracherkennung verfolgt hat, konnte schöne Beispiele für Fortschritt sehen. Anfangs nur auf teuren Großrechnern überhaupt einsatzfähig, dann im PC-Bereich bestenfalls für simple Kommandos geeignet, wird Spracherkennung heute zur Alltagstechnik. Als geübter Diktierer, der immer wiederkehrende Floskeln und einen begrenzten fachwissenschaftlichen Wortschatz verwendet, kann man mit einem Spracherkennungssystem für den Windows-PC sehr glücklich werden. Leider gibt es in diesem Bereich nur noch einen Hersteller: Scansoft. Das Unternehmen entwickelt sein Dragon Naturally Speaking beharrlich weiter, während sich Philips und IBM aus dem Massenmarkt zurückgezogen haben.


Die neue Version 8 von Naturally Speaking ist ein gewaltiger Schritt nach vorn. Sie bietet unter bestimmten Bedingungen eine nahezu fehlerfreie Erkennung der menschlichen Sprache. Der Hersteller nennt eine Genauigkeit von 99 Prozent. Daß nur eins von hundert Worten falsch erkannt wird, ist mit dieser Windows-Software tatsächlich zu schaffen: wenn man im Diktieren geübt und Naturally Speaking mit dem verwendeten Vokabular vertraut ist. Wie immer gibt es die Scansoft-Software in unterschiedlichen Versionen. Die einfachste für 100 Euro heißt "Standard". Wir haben die Variante "Preferred" für 200 Euro ausprobiert. Noch teurer sind "Professional" (mit Makrofähigkeiten) und "Legal" (für Rechtsanwälte). Stets gehört ein Kopfbügelmikrofon für die Soundkarte zum Lieferumfang. Die Software erfordert nun eine Zwangsregistrierung via Internet-Verbindung. Wer das Programm neu erworben hat, muß nur wenige Minuten trainieren, nämlich einen Text vorsprechen, damit sich Naturally Speaking der Stimme und der Sprechweise anpaßt. Ratsam ist ferner, Dragon mit E-Mails und eigenen Texten zu füttern, um das mitgelieferte Vokabular (300 000 Wörter) zu ergänzen. Schon nach der ersten Stunde erreicht die neue Version eine beachtliche Erkennungsrate von 95 Prozent. Wer falsch erkannte Worte umgehend korrigiert, klar und deutlich diktiert und auf diese Weise das System "trainiert", erreicht durchaus 99 oder 100 Prozent, vor allem, wenn sich die Texte sehr ähnlich sind.

Mit Dragon 8 kann man nun auch auf Diktiergeräte Gesprochenes erkennen lassen, allerdings wird das Standard-Speicherformat DSS nur unzureichend unterstützt. Statt einer universellen DSS-Schnittstelle gibt es nur die Möglichkeit, einzelne Diktiergeräte an Naturally Speaking anzupassen. Mit einem Olympus-Gerät gelingt das sehr ordentlich: Die Aufzeichnungen vom Diktiergerät werden mit wenigen Mausklicks automatisch in Dragon umgesetzt. Die ebenfalls sehr guten Produkte von Philips oder Grundig kommunizieren nach wie vor nicht mit der Spracherkennung. Indes sollte man beim Einsatz eines Diktiergeräts wissen, daß die Erkennungsrate deutlich geringer ist, weil der Abstand zwischen Mikrofon und Mund nicht konstant bleibt. Wird draußen diktiert, etwa in der Bahn oder im Auto oder während eines Spaziergangs im Wald, stehen Störgeräusche der Erkennung entgegen. Die Idee, mit der Software ein Interview oder eine Radiosendung automatisch in geschriebenen Text umzuwandeln, scheitert ebenfalls.

In Version 8 läßt sich nun ein persönliches Vokabular mit unterschiedlichen Eingabemedien nutzen: praktisch, wenn man im Büro mit einem Headset diktiert und zu Hause mit dem USB-Mikrofon. Wie bei den älteren Versionen eignet sich Dragon Naturally Speaking auch zur vollständigen Steuerung eines Windows-PCs. Man kann Programme starten, Fenster verschieben und sogar die Maus mit Sprachkommandos steuern. Freilich braucht die Neuerscheinung einen leistungsstarken Rechner: Ein Pentium 4 mit mehr als 3 Gigahertz und 512 Megabyte Speicher sollte es schon sein. Auf einem langsameren PC läuft die Erkennung dem gesprochenen Wort sichtbar hinterher und macht wenig Spaß.

Ein weiterer Nachteil von Version 8: Sie arbeitet nicht mit der alten deutschen Rechtschreibung. Während allein ein halbes Dutzend englischer Dialekte (unter anderem "indisches Englisch") in der deutschen Version berücksichtigt werden, ignoriert man die Schreibgewohnheiten der großen Mehrheit der Bevölkerung. Indes denkt der Hersteller über ein Update nach, das spätestens im Sommer nach den politischen Entscheidungen zur deutschen Rechtschreibung ohnehin ansteht. Die entsprechende Funktionalität ist bereits in Dragon eingebaut. Das Ganze läuft dann automatisch über eine Internet-Verbindung.


Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.02.2005, Nr. 26 / Seite T2

Spracherkennungssoftware vor dem Durchbruch

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