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Frankfurter Allgemeine Zeitung Natur und Wissenschaft
Magersport
Prävention "light": Zum Gesundsein bedarf es wenig
Gerade für jene Zeitgenossen, die die heute beginnende Fastenzeit nicht als rituelle Läuterung begreifen und trotzdem hungern wollen, können die kommenden Wochen zur Qual werden. Gesundfasten lautet das Ziel und Stoßfasten der Weg. So, als ließen sich die körperlichen Ausschweifungen der vergangenen Monate mit der schlagartigen Umstellung der eigenen Gesundheitsphilosophie an die unorthodoxen Ernährungs- und Bewegungslehren von Diätunternehmern lustvoll revidieren. Das Ergebnis steht meistens schon im voraus fest. Dagegen freilich stehen seit jeher die ebenso trivialen wie manchmal rigiden und deshalb oft verpönten Ratschläge der Fachwelt, die eine grundsätzliche ganzjährige Neuorientierung fordern. Dazu gehört zum Beispiel, sich regelmäßig zu bewegen. Drei- bis viermal in der Woche etwa dreißig Minuten lang zügig gehen, Tennis spielen, Radfahren oder Joggen, so lautete näherungsweise eine der gängigen Formeln zur Prävention von Schlaganfall, Herz- und Kreislaufkrankheiten und Altersdemenz. Das ist, wer wollte das bestreiten, nicht sehr bequem. Das ist richtiger Sport.
Immer öfter aber waren zuletzt auch Stimmen wie die des Kardiologen und Sportmediziners Herbert Löllgen vom Sana-Klinikum in Remscheid zu hören und zu lesen, die bei regelmäßiger Bewegung empirisch einen Dosis-Wirkungseffekt feststellten, also je mehr Bewegung, desto besser der Gesundheitseffekt (allerdings Vorsicht vor Überanstrengung). Gleichzeitig redeten diese Wissenschaftler nicht mehr unbedingt dem "Sport", sondern der "Bewegung" oder "Aktivitäten" das Wort. Einfache Belastungen seien auch trainingswirksam und krankheitsvorbeugend, und vor allem von mehr Menschen zu akzeptieren. Nur magere dreizehn Prozent der Menschen, so stellte Löllgen in einer seiner Metaanalysen fest, erreicht man mit der Aufforderung, regelmäßig Sport zu treiben. Das Ergebnis spricht Bände: Mehr als 45 Prozent aller Deutschen treiben keinerlei Sport, und dreißig Prozent sind körperlich "kaum aktiv". Dabei könnten nach Auffassung Löllgens, der öffentlich immer wieder auch die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention vertritt, "täglich ein Spaziergang zwischen 30 bis 60 Minuten bereits ausreichend" sein ("Deutsches Ärzteblatt", Bd.101, Nr.12, S.A788).
Ganz in diesem Sinne und vielleicht noch konsequenter in ihrer Konsumentenfreundlichkeit hat sich jetzt eine amerikanische Forschergruppe in der Zeitschrift "Science" (Bd.307, S.584) mit einer wahrhaftig unkonventionellen Feldstudie präsentiert. Die Gruppe um James Levine von der Mayo Clinic in Rochester (Michigan) hat zehn normal- und zehn übergewichtige gesunde Probanden einem peniblen, regelmäßigen Stoffwechseltest unterworfen. Bei allen Frauen und Männern handelte es sich um selbsternannte Bewegungsmuffel, die sich selber lieber auf dem Sofa herumdrücken und Chips knabbern als sich zu bewegen. Die Forscher wollten nun wissen, warum die einen schlank bleiben, die anderen aber Fett ansetzen. Dazu haben sie Mahlzeitenpläne und Meßgeräte entwickelt, mit denen die Forscher den Energiehaushalt der Testpersonen in allen Facetten kontrollieren und mit am Computer überwachen konnten. Jede Bewegungsänderung, jedes Armheben und Sitzen, jedes Trinken und jedes Knabbern wurde metabolisch bilanziert. Jede halbe Sekunde wurde gemessen und registriert, Tag und Nacht, zehn Tage lang. Und weil man die physiologischen Reaktionen der Probanden auf die klugen und unklugen Ratschläge der Außenwelt feststellen wollte, hat man den Schlanken irgendwann eine Extraportion Kalorien und den dickeren eine Extrarunde Sport aufoktroyiert - und wieder gemessen. Bis am Ende der Studie knapp 150 Millionen Einzeldaten gesammelt, zwanzigtausend Mahlzeiten zubereitet und allein an Kosten für das Tafelwasser tausend Dollar pro Person angefallen waren.
Das Ergebnis freilich stimmte die Forscher nicht nur glücklich, sondern ermunterte sie auch zu einem bahnbrechenden Befund. Unter dem Strich nämlich stellte sich heraus, daß alle übergewichtigen Bewegungsmuffel offenbar von Natur aus rund 350 Kilokalorien pro Tag weniger verbrauchen als ihre schlanken Mitstreiter. Die Dicken sind quasi zum Sofaliegen biologisch ungünstig disponiert. Ihnen fehle einfach der Antrieb zur Bewegung. Ein möglicherweise neurologischer Defekt. Das sei aber keineswegs ein unabänderliches Schicksal, trösten sie die Betroffenen. Denn da es sich bei ihnen schlicht um eine metabolische Unterforderung handele, die dazu führt, daß der Grundumsatz an Kalorien von Natur aus und schon im Ruhezustand unter dem gesundheitlich zuträglichen Maß liege, sei es ein Leichtes gegenzusteuern. Einfach etwas mehr bewegen. "Hin und wieder aus dem Stuhl heraus", raten die Wissenschaftler, hin und wieder ein paar Treppen steigen, im Raum hin und her bewegen, kochen, tanzen und Kalorien sammeln: 350 Kilokalorien pro Tag. "Die Lösung der Fettsuchtepidemie", so das Resümee der Forscher, "könnte so einfach sein". Einfach und bequem. Amerikanisch eben. JOACHIM MÜLLER-JUNG
Text: F.A.Z., 09.02.2005, Nr. 33 / Seite N1
Magersport
Prävention "light": Zum Gesundsein bedarf es wenig
Gerade für jene Zeitgenossen, die die heute beginnende Fastenzeit nicht als rituelle Läuterung begreifen und trotzdem hungern wollen, können die kommenden Wochen zur Qual werden. Gesundfasten lautet das Ziel und Stoßfasten der Weg. So, als ließen sich die körperlichen Ausschweifungen der vergangenen Monate mit der schlagartigen Umstellung der eigenen Gesundheitsphilosophie an die unorthodoxen Ernährungs- und Bewegungslehren von Diätunternehmern lustvoll revidieren. Das Ergebnis steht meistens schon im voraus fest. Dagegen freilich stehen seit jeher die ebenso trivialen wie manchmal rigiden und deshalb oft verpönten Ratschläge der Fachwelt, die eine grundsätzliche ganzjährige Neuorientierung fordern. Dazu gehört zum Beispiel, sich regelmäßig zu bewegen. Drei- bis viermal in der Woche etwa dreißig Minuten lang zügig gehen, Tennis spielen, Radfahren oder Joggen, so lautete näherungsweise eine der gängigen Formeln zur Prävention von Schlaganfall, Herz- und Kreislaufkrankheiten und Altersdemenz. Das ist, wer wollte das bestreiten, nicht sehr bequem. Das ist richtiger Sport.
Immer öfter aber waren zuletzt auch Stimmen wie die des Kardiologen und Sportmediziners Herbert Löllgen vom Sana-Klinikum in Remscheid zu hören und zu lesen, die bei regelmäßiger Bewegung empirisch einen Dosis-Wirkungseffekt feststellten, also je mehr Bewegung, desto besser der Gesundheitseffekt (allerdings Vorsicht vor Überanstrengung). Gleichzeitig redeten diese Wissenschaftler nicht mehr unbedingt dem "Sport", sondern der "Bewegung" oder "Aktivitäten" das Wort. Einfache Belastungen seien auch trainingswirksam und krankheitsvorbeugend, und vor allem von mehr Menschen zu akzeptieren. Nur magere dreizehn Prozent der Menschen, so stellte Löllgen in einer seiner Metaanalysen fest, erreicht man mit der Aufforderung, regelmäßig Sport zu treiben. Das Ergebnis spricht Bände: Mehr als 45 Prozent aller Deutschen treiben keinerlei Sport, und dreißig Prozent sind körperlich "kaum aktiv". Dabei könnten nach Auffassung Löllgens, der öffentlich immer wieder auch die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention vertritt, "täglich ein Spaziergang zwischen 30 bis 60 Minuten bereits ausreichend" sein ("Deutsches Ärzteblatt", Bd.101, Nr.12, S.A788).
Ganz in diesem Sinne und vielleicht noch konsequenter in ihrer Konsumentenfreundlichkeit hat sich jetzt eine amerikanische Forschergruppe in der Zeitschrift "Science" (Bd.307, S.584) mit einer wahrhaftig unkonventionellen Feldstudie präsentiert. Die Gruppe um James Levine von der Mayo Clinic in Rochester (Michigan) hat zehn normal- und zehn übergewichtige gesunde Probanden einem peniblen, regelmäßigen Stoffwechseltest unterworfen. Bei allen Frauen und Männern handelte es sich um selbsternannte Bewegungsmuffel, die sich selber lieber auf dem Sofa herumdrücken und Chips knabbern als sich zu bewegen. Die Forscher wollten nun wissen, warum die einen schlank bleiben, die anderen aber Fett ansetzen. Dazu haben sie Mahlzeitenpläne und Meßgeräte entwickelt, mit denen die Forscher den Energiehaushalt der Testpersonen in allen Facetten kontrollieren und mit am Computer überwachen konnten. Jede Bewegungsänderung, jedes Armheben und Sitzen, jedes Trinken und jedes Knabbern wurde metabolisch bilanziert. Jede halbe Sekunde wurde gemessen und registriert, Tag und Nacht, zehn Tage lang. Und weil man die physiologischen Reaktionen der Probanden auf die klugen und unklugen Ratschläge der Außenwelt feststellen wollte, hat man den Schlanken irgendwann eine Extraportion Kalorien und den dickeren eine Extrarunde Sport aufoktroyiert - und wieder gemessen. Bis am Ende der Studie knapp 150 Millionen Einzeldaten gesammelt, zwanzigtausend Mahlzeiten zubereitet und allein an Kosten für das Tafelwasser tausend Dollar pro Person angefallen waren.
Das Ergebnis freilich stimmte die Forscher nicht nur glücklich, sondern ermunterte sie auch zu einem bahnbrechenden Befund. Unter dem Strich nämlich stellte sich heraus, daß alle übergewichtigen Bewegungsmuffel offenbar von Natur aus rund 350 Kilokalorien pro Tag weniger verbrauchen als ihre schlanken Mitstreiter. Die Dicken sind quasi zum Sofaliegen biologisch ungünstig disponiert. Ihnen fehle einfach der Antrieb zur Bewegung. Ein möglicherweise neurologischer Defekt. Das sei aber keineswegs ein unabänderliches Schicksal, trösten sie die Betroffenen. Denn da es sich bei ihnen schlicht um eine metabolische Unterforderung handele, die dazu führt, daß der Grundumsatz an Kalorien von Natur aus und schon im Ruhezustand unter dem gesundheitlich zuträglichen Maß liege, sei es ein Leichtes gegenzusteuern. Einfach etwas mehr bewegen. "Hin und wieder aus dem Stuhl heraus", raten die Wissenschaftler, hin und wieder ein paar Treppen steigen, im Raum hin und her bewegen, kochen, tanzen und Kalorien sammeln: 350 Kilokalorien pro Tag. "Die Lösung der Fettsuchtepidemie", so das Resümee der Forscher, "könnte so einfach sein". Einfach und bequem. Amerikanisch eben. JOACHIM MÜLLER-JUNG
Text: F.A.Z., 09.02.2005, Nr. 33 / Seite N1
junge - 9. Feb, 16:09
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