Samstag, 12. Februar 2005

Die dunkle Seite der Börse: Das Schwarzbuch der SdK

Schwarzbuch Börse 2004
„Irgendetwas müssen wir mit dem Geld ja machen”


11. Februar 2005 Was die Börse spannend macht, macht sie zugleich riskant: Nichts an der Börse ist spannender und kostenträchtiger zugleich als der menschliche Faktor. Versagen, Gier, kriminelle Energie und viel Geld - die richtigen Zutaten für einen Börsenkrimi.


Oder auch für das „Schwarzbuch Börse”, das, von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) herausgegeben, nun druckfrisch auf den Tischen der Redaktionen und Rechtsanwaltskanzleien liegt.

Ixos schwarzbuchnotorisch

Viele alte Bekannte trifft man im Schwarzbuch, zum Beispiel Articon-Integralis, dem die SdK bereits im Schwarzbuch 2003 eine ganze Seite widmete: Wenn das Unternehmen so weitermache, wäre in zwei Jahren die Kasse aufgebraucht, hätten die Vorstände ausgesorgt und wären die Aktionäre leer ausgegangen, lautet das Fazit der Aktionärsschützer.

Ebenfalls schwarzbuchnotorisch sind die Führungskräfte von Ixos, die 2002 eine Hauptversammlung wiederholen mußten, vor einer Gewinnwarnung große Aktienpositionen verkauften und bereits testierte Jahresabschlüsse wegen Betrugsfällen einzelner Mitarbeiter wieder ändern mußten - „inkompetent und an Aktionärsinteressen desinteressiert” lautet der Eintrag ins Schwarzbuch 2004.

Träume vom Erfolg beerdigt

Aber auch Erfolg kann zum Eintrag ins Schwarzbuch Börse führen - zum Beispiel der Garant Schuh, die angeblich wegen einer guten Auftragslage Konkurs anmelden mußte. Die angeschlossenen Fachhändler hätten zuviel Ware geordert, weshalb man in Liquiditätsprobleme geraten sei. Ähnlich erging es GfN: Das Unternehmen konnte sich trotz eines Großauftrags nicht mehr retten - man bekam nicht genügend Geld, um den Auftrag anzunehmen.

Nicht nur Erfolg, auch Träume vom Erfolg werden im Schwarzbuch beerdigt, zum Beispiel der Traum von Lion Bioscience, das „SAP der Biotechnologie” zu werden. Heute ist Lion in den Augen der SdK eine „kleine Klitsche mit einer Handvoll Kunden”. Aber was wäre die Börse ohne Gier, vor allem die Gier der Vorstände? Selbigen Vorwurf sehen die Vorstände der Beru AG vermutlich gelassen: Für erhebliche „Mehrarbeit” im Rahmen von Veräußerungsgeschäften genehmigte man sich 603.000 Euro Sonderzahlungen.

Dilettantismus und Inkompetenz

Und wo Gier ist, treiben sich zumeist kriminelle Energien in der Nachbarschaft herum, wenn auch nicht immer so exzessiv wie im Falle der Realtos AG, einem einstmals leerem Börsenmantel, der zumindest zeitweise mit Leben gefüllt wurde. Nach anfänglichem Kursgewinn allerdings wurden betrügerische Machenschaften und Manipulationen ruchbar. Den Vorstandschef hätte eine mehrjährige Haftstrafe erwartet, der er sich durch Selbstmord entzog.

Aber es muß nicht verbrecherische Energie sein, die den Aktionären das Portfolio atomisieren. Dilettantismus und Inkompetenz tun es auch, so beim Windenergieanbieter Nordex AG, wo laut SdK ein dilettantisches Management tätig war. Überhaupt meinte es das Jahr nicht gut mit alternativen Energien: Der Windkraftanbieter Umweltkontor sah zwar die Konsolidierungswelle in seinem Geschäftsfeld korrekt voraus, was er aber nicht voraussah, war, daß ihn das Biodiesel-Engagement, das er anstrebte, in den Ruin treiben sollte. Dabei war es doch so praktisch: Die Unternehmensgruppe, die man zu diesem Zweck übernahm, war zuvor im Privatbesitz der damaligen Vorstände von Umweltkontor gewesen, gegen die jetzt der Staatsanwalt ermittelt.

„Legende wie den Yeti”

Nicht nur unübersichtlich, auch befremdlich mag der ehrenwerte Dr. Kahrmann von der CBB AG dem Staatsanwalt vorkommen: Der legte auf einer Hauptversammlung zwar keine Bilanz vor, rief dafür aber einen Aktionär mit „Halten Sie die Schnauze” zur Ordnung, legte auf zähes Nachfragen dann eine Excel-Tabelle vor und bezeichnete die 400 Millionen Euro, die an seine Gesellschaft geflossen sein sollen, als „Legende wie den Yeti” - er habe das Geld nie erhalten. Jetzt soll die Staatsanwaltschaft untersuchen, ob der Yeti mit dem Geld durchgebrannt ist.

Auch für die Banken gab es noch Platz im Schwarzbuch, so für die Emissionsbank Morgan Stanley, die seit 1998 acht Neuemissionen betreute. Sieben davon notieren im Schnitt mit 60 Prozent im Minus. Die Ankündigung, daß Morgan Stanley beim Börsengang von Premiere eine wesentliche Rolle spielen soll, müsse der Anleger als Drohung empfinden, lautet das Fazit der SdK. Dafür gab es die IPO-Zitrone des Jahres. Ein schwer zu erringender Titel, sollte man meinen: Bei insgesamt 439 Börsengängen seit 1997 konnte die SdK nur in acht Prozent aller Fälle Kursgewinne zählen, jeder vierte Börsengang endete mit Totalverlust, 77 Prozent der Emissionen erbrachten ihren Anlegern mehr als 50 Prozent Verlust.

Nur die Spitze des Eisberges

Zum Bankräuber des Jahres - für besondere „Abzockerei, Dreistigkeit und Vorteilnahme zum Nachteil von Aktionären und Anlegern” - ernennt die SdK J. P. Morgan Chase. Unter maßgeblicher Führung der Bank habe der Kabelnetzanbieter Primacom einen Kredit aufgenommen, der nun mit 20 Prozent jährlichen Belastungen zu Buche schlägt.

Gier, Betrug, Inkompetenz - und doch nur die Spitze des Eisbergs: Borussia Dortmund, Karstadt-Quelle, das Optionsprogramm bei Infineon, die Toll-Collect-Blamage von Daimler-Chrysler und der Deutschen Telekom - auch die bekannteren Unternehmen kommen zu ihrem Recht im Schwarzbuch. Für die Aktionäre, deren Geld geopfert wurde, bleibt wohl nur noch das Fazit des Vorstands von IPC Arctech als Trost: „Irgend etwas müssen wir mit dem Geld ja machen.”


Text: hbe. / F.A.Z., 12.02.2005, Nr. 36 / Seite 19

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