Crosby&Nash: The show must go on
Crosby & Nash
Leg dich gut wieder hin, altes Haus
Von Hans Zippert
16. Februar 2005 Es geht wuchtig los mit „Military Madness”, einer Graham-Nash-Komposition aus dem Jahr 1971. „Wir beginnen jedes Konzert mit diesem Lied”, erklärt David Crosby, „damit ihr wißt, wir sind die besseren Amerikaner.” Mit so einer Bemerkung kann man auch noch das beschränkteste deutsche Publikum auf seine Seite ziehen, aber wenn jemand solche Platitüden aussprechen darf, dann diese beiden.
David Crosby und Graham Nash sind schon von Berufs wegen die besseren Amerikaner. Sie spielen seit 1968 zusammen, standen immer auf der richtigen Seite und haben für das Gute gekämpft: gegen Haß, Gewalt, Ausbeutung und für Liebe, Frieden und Wale. Das ist ein knallharter Job, und David Crosby mußte den Kampf mehrmals unterbrechen, wegen Drogenproblemen, Gefängnisaufenthalten und einer Lebertransplantation. Das Leben hat ihm stärker zugesetzt als seinem Partner, der erstaunlich frisch wirkt und dessen Stimme vor allem zu Anfang beinahe unverändert scheint, was bei fast vierzig Jahre alten Liedern kaum zu glauben ist.
Der Brite und der Hippie
Graham Nash, in Manchester geboren, sah vielleicht in seinem ganzen Leben nie englischer aus als heute, was einen reizvollen Gegensatz zu dem ewigen Hippie David Crosby bildet. Vor seiner Zusammenarbeit mit dem Amerikaner war er von 1961 bis 1967 Mitglied der „Hollies”, einer der unterschätztesten Popgruppen aller Zeiten. Damals erreichte Nash Höhen, die nie ein Mensch vor ihm erreicht hatte, heute kommt er immer noch erstaunlich weit.
Das Verblüffende an diesem Konzert ist, daß es vollkommen unpeinlich verläuft. Obwohl die alten Nummern den Schwerpunkt bilden, ist es kein Oldie-Abend. Statt dessen klingt das aktuelle Material fast am besten, weil es am authentischsten und auf die altersbedingt leicht reduzierten stimmlichen Fähigkeiten der Künstler zugeschnitten ist. An den meisten neuen Stücken hat James Raymond, Crosbys Sohn, mitgewirkt, das bewegende „Lay me down” schrieb er ganz allein. Damit scheint sichergestellt, daß dieser großartige Familienbetrieb auch in Zukunft weitergeführt werden kann.
Merkwürdige Assoziationen
Stilistisch ist alles aus einem Guß, es wirkt etwas schwermütiger als früher, die alte Leichtigkeit tritt naturgemäß in den Hintergrund; dafür hört es sich oft angriffslustiger an. Manchmal stellen sich merkwürdige Assoziationen ein. Bei „Immigration Man” muß man plötzlich an Joschka Fischer denken, was dem Stück aber nicht schaden kann.
Noch immer ist der Zusammenklang ihrer Stimmen ein außergewöhnliches Ereignis, was sie durch eine phantastische Interpretation des hymnischen „A critical Mass” unter Beweis stellen. Die neue Platte habe aus finanziellen Gründen in wenigen Tagen eingespielt werden müssen, erzählt Crosby. „Es lief wirklich sehr schnell, ich war nur für zwei Stunden beim Zahnarzt, und da hatten sie das nächste Stück komponiert und aufgenommen. Als ich wegging, existierte es noch nicht einmal.” Gemeint ist „Milky Way Tonight”, das zwar schnell komponiert wurde, aber trotzdem für die Ewigkeit geschrieben sein könnte.
Ungewöhnlich viele Raucher
Das größtenteils männliche Publikum ist mit den Künstlern gealtert und besteht aus ungewöhnlich vielen Rauchern, wie man in der Pause im Foyer bemerken kann. Neunzig Prozent der Anwesenden dürften sich die erste Platte von Crosby, Stills & Nash schon im Erscheinungsjahr 1969 auf Vinyl gekauft haben. Im Jahre 2005 halten ihre Frauen kleine Apparate in die Luft, mit denen man gleichzeitig telefonieren und fotografieren kann.
Als „Marrakesh Express” geschrieben wurde, waren Telefone noch aus Bakelit und durch eine Schnur mit der Wand verbunden; niemand wäre auf den Gedanken gekommen, im Konzertsaal damit zu fotografieren, so lange Kabel gab es ja auch gar nicht. Man fragt sich: Ist es möglich, analoge Künstler digital zu fotografieren? Außerdem merkt man hier, wie viele verschiedene Formen von Haarausfall es gibt. Beim Haarwuchs gibt es weniger Variationsmöglichkeiten. David Crosby singt dazu „Almost cut my Hair” und weist auf sein an den meisten Stellen immer noch sehr langes eigenes. Gegen Ende hat er das Kommando übernommen, seine Stimme wirkt mit jedem Stück kraftvoller, während Nash fast unmerklich tiefer rutscht.
Es wäre falsch zu sagen, wir hätten erlebt, was es heißt, in Würde zu altern - die Künstler sind erst dreiundsechzig Jahre alt und üben einfach ihr Handwerk aus, das sie hervorragend beherrschen. Sie beenden den Abend mit „Our House” und „Teach your children”. Obwohl man den Text schon länger nicht mehr gehört hat, kann man problemlos mitsingen, so funktionieren nur die wirklich guten, großen Kirchenlieder. Dann ist es leider vorbei. Für zweieinhalb Stunden schien die Welt wieder etwas einfacher. Die Bösen waren die Militärs, das Großkapital und die korrupten Politiker. Wenn man es genau überlegt, was ist eigentlich so falsch daran?
Text: F.A.Z., 16.02.2005, Nr. 39 / Seite 38
Bildmaterial: ddp
Leg dich gut wieder hin, altes Haus
Von Hans Zippert
16. Februar 2005 Es geht wuchtig los mit „Military Madness”, einer Graham-Nash-Komposition aus dem Jahr 1971. „Wir beginnen jedes Konzert mit diesem Lied”, erklärt David Crosby, „damit ihr wißt, wir sind die besseren Amerikaner.” Mit so einer Bemerkung kann man auch noch das beschränkteste deutsche Publikum auf seine Seite ziehen, aber wenn jemand solche Platitüden aussprechen darf, dann diese beiden.
David Crosby und Graham Nash sind schon von Berufs wegen die besseren Amerikaner. Sie spielen seit 1968 zusammen, standen immer auf der richtigen Seite und haben für das Gute gekämpft: gegen Haß, Gewalt, Ausbeutung und für Liebe, Frieden und Wale. Das ist ein knallharter Job, und David Crosby mußte den Kampf mehrmals unterbrechen, wegen Drogenproblemen, Gefängnisaufenthalten und einer Lebertransplantation. Das Leben hat ihm stärker zugesetzt als seinem Partner, der erstaunlich frisch wirkt und dessen Stimme vor allem zu Anfang beinahe unverändert scheint, was bei fast vierzig Jahre alten Liedern kaum zu glauben ist.
Der Brite und der Hippie
Graham Nash, in Manchester geboren, sah vielleicht in seinem ganzen Leben nie englischer aus als heute, was einen reizvollen Gegensatz zu dem ewigen Hippie David Crosby bildet. Vor seiner Zusammenarbeit mit dem Amerikaner war er von 1961 bis 1967 Mitglied der „Hollies”, einer der unterschätztesten Popgruppen aller Zeiten. Damals erreichte Nash Höhen, die nie ein Mensch vor ihm erreicht hatte, heute kommt er immer noch erstaunlich weit.
Das Verblüffende an diesem Konzert ist, daß es vollkommen unpeinlich verläuft. Obwohl die alten Nummern den Schwerpunkt bilden, ist es kein Oldie-Abend. Statt dessen klingt das aktuelle Material fast am besten, weil es am authentischsten und auf die altersbedingt leicht reduzierten stimmlichen Fähigkeiten der Künstler zugeschnitten ist. An den meisten neuen Stücken hat James Raymond, Crosbys Sohn, mitgewirkt, das bewegende „Lay me down” schrieb er ganz allein. Damit scheint sichergestellt, daß dieser großartige Familienbetrieb auch in Zukunft weitergeführt werden kann.
Merkwürdige Assoziationen
Stilistisch ist alles aus einem Guß, es wirkt etwas schwermütiger als früher, die alte Leichtigkeit tritt naturgemäß in den Hintergrund; dafür hört es sich oft angriffslustiger an. Manchmal stellen sich merkwürdige Assoziationen ein. Bei „Immigration Man” muß man plötzlich an Joschka Fischer denken, was dem Stück aber nicht schaden kann.
Noch immer ist der Zusammenklang ihrer Stimmen ein außergewöhnliches Ereignis, was sie durch eine phantastische Interpretation des hymnischen „A critical Mass” unter Beweis stellen. Die neue Platte habe aus finanziellen Gründen in wenigen Tagen eingespielt werden müssen, erzählt Crosby. „Es lief wirklich sehr schnell, ich war nur für zwei Stunden beim Zahnarzt, und da hatten sie das nächste Stück komponiert und aufgenommen. Als ich wegging, existierte es noch nicht einmal.” Gemeint ist „Milky Way Tonight”, das zwar schnell komponiert wurde, aber trotzdem für die Ewigkeit geschrieben sein könnte.
Ungewöhnlich viele Raucher
Das größtenteils männliche Publikum ist mit den Künstlern gealtert und besteht aus ungewöhnlich vielen Rauchern, wie man in der Pause im Foyer bemerken kann. Neunzig Prozent der Anwesenden dürften sich die erste Platte von Crosby, Stills & Nash schon im Erscheinungsjahr 1969 auf Vinyl gekauft haben. Im Jahre 2005 halten ihre Frauen kleine Apparate in die Luft, mit denen man gleichzeitig telefonieren und fotografieren kann.
Als „Marrakesh Express” geschrieben wurde, waren Telefone noch aus Bakelit und durch eine Schnur mit der Wand verbunden; niemand wäre auf den Gedanken gekommen, im Konzertsaal damit zu fotografieren, so lange Kabel gab es ja auch gar nicht. Man fragt sich: Ist es möglich, analoge Künstler digital zu fotografieren? Außerdem merkt man hier, wie viele verschiedene Formen von Haarausfall es gibt. Beim Haarwuchs gibt es weniger Variationsmöglichkeiten. David Crosby singt dazu „Almost cut my Hair” und weist auf sein an den meisten Stellen immer noch sehr langes eigenes. Gegen Ende hat er das Kommando übernommen, seine Stimme wirkt mit jedem Stück kraftvoller, während Nash fast unmerklich tiefer rutscht.
Es wäre falsch zu sagen, wir hätten erlebt, was es heißt, in Würde zu altern - die Künstler sind erst dreiundsechzig Jahre alt und üben einfach ihr Handwerk aus, das sie hervorragend beherrschen. Sie beenden den Abend mit „Our House” und „Teach your children”. Obwohl man den Text schon länger nicht mehr gehört hat, kann man problemlos mitsingen, so funktionieren nur die wirklich guten, großen Kirchenlieder. Dann ist es leider vorbei. Für zweieinhalb Stunden schien die Welt wieder etwas einfacher. Die Bösen waren die Militärs, das Großkapital und die korrupten Politiker. Wenn man es genau überlegt, was ist eigentlich so falsch daran?
Text: F.A.Z., 16.02.2005, Nr. 39 / Seite 38
Bildmaterial: ddp
junge - 16. Feb, 10:28
0 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Trackback URL:
https://junge.twoday.net/stories/523935/modTrackback