Donnerstag, 17. Februar 2005

Diäten, Pfunde und Dollars: Millionenerbin im Kalorien-Krieg

SPIEGEL ONLINE - 17. Februar 2005, 10:31
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,341231,00.html
Diät-Witwe-Atkins

Millionenerbin im Kalorien-Krieg
Von Marc Pitzke, Palm Beach



Die Witwe des Diät-Gurus Robert Atkins hat der Lebensmittelindustrie den Krieg erklärt. Veronica Atkins will den lädierten Ruf ihres Mannes und seiner weltberühmten Diät posthum retten. Dabei geht es nicht nur um Pfunde, es geht um Dollars.

Witwe Atkins: "Diese Leute sind bösartig, sie glauben an nichts"
Palm Beach - Veronika Atkins rückt mit Flankenschutz an. Zwei Treuhänder und ein PR-Agent, alle in schmuckem Schwarz: "Meine drei Musketiere", gurrt Atkins und bietet dem Gast einen Diät-Muffin an. "Ohne die gehe ich nirgendwohin." Die Musketiere lächeln und blättern geschäftig in ihren Akten.

Recht hat sie. In diesem gnadenlosen Geschäft muss man immer auf der Hut sein, um jederzeit die "Lügen" des Gegners parieren zu können. Zum Beispiel, dass Kalorien schlecht für die Linie seien. Oder Kohlehydrate harmlos. Oder dass ihr Mann kein richtiger Doktor gewesen sei, sondern ein Scharlatan, der einem das Geld aus der Tasche gezogen habe.

"Ich bin bereit, zu kämpfen", sagt die Millionenerbin Veronica Atkins, die sonst so pressescheue Witwe des 2003 verstorbenen Diät-Gurus Dr. Robert Atkins, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Diese Leute sind bösartig. Sie glauben an nichts. Sie sind Fanatiker."

Mit "diese Leute" meint die zierliche 67-jährige Dame die US-Lebensmittelindustrie, jenen 500-Milliarden-Dollar-Umsatzgorilla, der ihren Mann zu Lebzeiten bitter verfolgt hat. Die "Cornflakes-Lobby", wie sie sagt, die Zuckerschleudern und Dickmacher, die Kelloggs, McDonald's, Coca-Colas dieser Welt. Aber auch die "Ultra-Ultra-Vegetarier" und Ärztegruppen wie das Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM), das die Atkins-Diät - Fett ja, Kohlehydrate nein - als gesundheitsschädlich anprangert. Die Fronten sind längst gezogen in diesem eskalierenden Drama um Geld und Gewicht. Anderen könnte das Angst machen.

Die Ehre eines Toten

Atkins-Produkte: Wachstum im einstelligen Bereich
Nicht ihr. Veronica Atkins sitzt aufrecht und entschlossen in einem Konferenzsaal in Palm Beach, dem Reichenrefugium Floridas. Eine bis heute trauernde Witwe, die nun aber einen Weg gefunden hat, ihre Trauer zu kanalisieren: Sie verteidigt das bedrohte Diät-Erbe ihres Mannes, bewehrt allein mit ihrem Namen, ihrem Privatvermögen und ihrer Chuzpe.

Die dürfte sie brauchen. Denn der Anteil der Amerikaner, die eine Low-Carb-Diät à la Atkins verfolgen, ist Marktforschungsstudien zufolge zwischen 2003 und 2004 rasant geschrumpft - von zwölf auf vier Prozent. "Ist der Low-Carb-Boom vorbei?", fragte die "New York Times". "Low-Carb stirbt", legte das "Wall Street Journal" nach. Ein Milliardengeschäft wankt: Atkins Nutritionals - der von Dr. Atkins gegründete Diätkonzern, der heute unabhängig von seiner Witwe operiert - streitet zwar Probleme ab, bestätigt aber, dass seine Wachstumsprognosen für 2005 nicht mehr zwei- oder dreistellig seien, sondern nur noch einstellig. Nachrufe auf den Atkins-Boom, so Sprecher Anthony Giordano, seien freilich ebenso verfrüht wie Nachrufe auf das Internet.

Doch Veronica Atkins geht es ja nicht um die Company. Ihr geht es um die Ehre eines Toten: "Er hat die Wahrheit gesagt. Er hatte Recht."

Seit an Seit mit ihren Musketieren, die sie dauernd mit neuen Statistiken unterbrechen, nimmt sie gleich den Gegner ins Visier. Herkömmliche Abspecker wie Weight Watchers etwa: "Was passiert, wenn du auf Fett verzichtest?", fragt die gebürtige Russin in slawisch gefärbtem Englisch. "Du isst mehr Zucker. Und bumm, eine Stunde später hast du wieder Hunger!"

Burger ohne Brötchen

Dabei wirkt sie zunächst nicht wie eine, die es wagt, das Diät-Establishment herauszufordern in dieser verfetteten und zugleich doch vom ewigen Abnehmen besessenen Nation. Sondern eher wie eine dieser Ladys, die man hier in Südflorida überall durch die Luxus-Malls irren sieht: glamourös, aber müde, gertenschlank, giftgrünes Kostüm, dezent blondiertes Kurzhaar, unaufdringlicher, doch hochkarätiger Goldschmuck an Ohren, Hals und Händen.

Hinter der klassischen Fassade verbirgt sich eine knallharte Geschäftsfrau mit Mission. Diese Mission hatte einen tragischen Beginn - den Unfalltod ihres Mannes im April 2003.

Dr. Robert Atkins, der berühmt-berüchtigte "Diät-Doktor", betreute in seiner Kardiologie-Praxis in Manhattan über 65.000 Patienten in 40 Jahren. Dabei entwickelte er sein eigenes Rezept "für dauerhaftes Abnehmen und gute Gesundheit": bloß keine Kohlehydrate, kein Zucker, doch jede Menge Protein und "gute Fette". Butter, Vollmilch und Fleisch waren erlaubt. Brot, Nudeln und Süßigkeiten nicht.

Atkins-Jünger: Bloß keine Kohlehydrate
Als "Lifestyle" vermarktet, schlug das Konzept ein. Atkins wurde zum "erfolgreichsten Diät-Guru der Geschichte", so der Autor und Atkins-Kritiker Michael Fumento. Die Atkins-Bibeln "Diet Revolution" und, kurz vor seinem Tod, "Atkins for Life" - gewidmet "meiner liebevollen und lieblichen Ehefrau Veronica" - sowie ein Dutzend weiterer Bücher verkauften weltweit über 40 Millionen Exemplare und lösten nicht nur in den USA einen Low-Carb-Boom aus. Atkins Nutritionals boomte ebenfalls. Bald gab es Low-Carb-Eis, Low-Carb-Pizza, Low-Carb-Bier. Hollywood-Stars schworen auf Atkins. Fast-Food-Ketten begannen ihre Burger ohne Brötchen anzubieten, Steakhäuser ihre Steaks ohne Fritten. Plötzlich waren alle "auf Atkins".

Häme über "Dr. Fatkins"

Fast alle. Die Nahrungsmittelindustrie, die florierende Fat-Free-Branche, die etablierte Medizin, sie bliesen zum Sturm: Die Atkins-Diät sei "unwissenschaftlich", "potenziell gefährlich", "naiv", befand etwa die American Medical Association (AMA). "Bobby ist sein ganzes Leben verfolgt worden", sagt Veronica Atkins - die selbst am liebsten Eier und Speck zum Frühstück isst und Teigwaren "nur in Italien" - heute noch bebend. "Als sei er der Antichrist gewesen. Dabei war er ein Genie."

Robert Atkins: Hohn über "Dr. Fatkins"
Sie hatten sich 1983 kennen gelernt. Veronica Luckey, geschieden, hatte da schon ein volles Leben hinter sich: im Kaukasus geboren, in den 60er und 70er Jahren mal Opernsängerin an der Deutschen Oper in Düsseldorf. Sie sprach Russisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch. Atkins lud sie zum Essen ein, low-carb natürlich. 1988 heirateten sie. "Der Rest ist Geschichte", sagt sie leise.

Im April 2003 starb Atkins, 72-jährig, an den Folgen eines Sturzes. Sein Tod fachte die Kontroverse neu an. Das "Wall Street Journal" druckte einen Autopsiebericht, der ihm von Atkins-Gegnern zugespielt worden war: Atkins sei zuletzt 117 Kilogramm schwer gewesen, also "fettleibig". "Dr. Fatkins", schlagzeilte die "New York Post" hämisch. Selbst Bürgermeister Michael Bloomberg nannte Atkins "fett" und berichtete, das Dinner, das der ihm einmal serviert habe, sei "ungenießbar" gewesen.

"Lasst mich in Frieden trauern"

Atkins' Company dementierte schnell: Atkins habe 89 Kilogramm gewogen, "normal für sein Alter". Die Witwe gab derweil zur Debatte um den Tod ihres Mannes, der ihr 600 Millionen Dollar vermachte, nur eine knappe Erklärung ab und bat bei CNN-Talker Larry King: "Lasst Dr. Atkins in Frieden ruhen, lasst mich in Frieden trauern." Dann wurde es still um sie.

Sie verkaufte Atkins Nutritionals an zwei Investmentfirmen und legte ihre Ämter nieder. Sie verkaufte auch das gemeinsame Penthouse auf der Upper East Side, zog ins sonnige Palm Beach, behielt nur eine Zweitwohnung in New York. Seither widmet sich nur noch der Atkins Foundation, ihrer unabhängigen Privatstiftung zur Erforschung von Fettsucht und Diabetes.

"Business Week" krönte sie zu einer der "50 spendabelsten Philanthropen" der USA. Mit 41 Millionen Dollar finanziert sie derzeit 22 Studien, und auch der Rest ihres Vermögens soll eines Tages an die Stiftung gehen. So hofft sie, bald nicht nur "die Fettsucht-Epidemie" zu beenden, sondern vor allem "Bobbys Lebenswerk" zu sanktionieren. Die Foundation ist ihre letzte Geheimwaffe im Kalorien-Krieg.

Erzfeinde in der Food-Pyramide

Doch manche Forscher scheuen sich, Atkins-Gelder anzunehmen, "aus Angst, dass der Name von ihrer Arbeit ablenkt", wie Gary Foster, ein Diät-Spezialist der University of Pennsylvania, dem Fachmagazin "Chronicle of Philanthropy" sagte. "Was soll ich machen?", seufzt Atkins da nur. "Ich heiße nun mal so."

Atkins-Bücher in Washington: Steak ohne Fritten
Dabei geht der Krieg erst jetzt so richtig los. Die US-Regierung ist gerade dabei, ihre 13 Jahre alte "Food-Pyramide" zu aktualisieren, die amtliche Ernährungsempfehlung. Deren massives Fundament belegen zurzeit noch, als die "wichtigsten Nahrungsmittel", die alten Produkte der Atkins-Erzfeinde: Brot, Reis, Nudeln, Cerealien. "Wir brauchen eine massive PR-Kampagne", ahnt Atkins, "um die amerikanischen Essgewohnheiten zu ändern."

Auf einmal klingt sie matt. "Eigentlich bin ich's leid", murmelt sie. "Ich bin müde." Warum sie denn dann noch weitermache? Die Musketiere gucken verschreckt und rascheln mit ihren Papieren, doch da steht die Antwort diesmal nicht. "Ich hatte nicht gedacht, dass er so früh sterben würde", sagt Veronica Atkins nach kurzer Pause. "Ich vermisse ihn furchtbar."

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