Mittwoch, 16. Februar 2005

Deutsche Volkswirte gründen Keynes-Gesellschaft

Das ist - neben den aktuellen Meldungen über eine schrumpfende Volkswirtschaft und die zunehmende Beliebheit der SPD bei deutschen Wählern bereits die dritte Nachricht in dieser Woche, die die Gruppe der Auswanderungswilligen um viele Teilnehmer vergrössert:

Deutsche Volkswirte gründen die Keynes-Gesellschaft:

Keynes Gesellschaft

Wir erinnern uns: Keynes war der Ökonom, der verinfacht behauptet hat, dass eine sich im Konjunkturtief befindliche Volkswirtschaft durch (künstlich-angefachte) Nachfrage seitens des Staates angefacht werden müsse, damit sie gesunde.

Dass diese Kausalkette sowohl in der ökonomischen Theorie, als auch in der Realität bereits vor einigen Jahren als nachweislich falsch erkannt wurde und sich seitdem beliebig viele Belege dafür finden, hindert die 13 Volkswirte nicht daran, dieser Idee zu einer Renaissance zu verhelfen.

Wer sind diese Bewahrer des alten und falschen Gedankengutes?
Hier die Mitglieder der Keynes-Gesellschaft:
Gründungsmitglieder: Ingo Barens, Volker Caspari, Harald Hagemann, Gustav A. Horn, Peter Kalmbach, Heiko Körner, Hagen Krämer, Jürgen Kromphardt, Hans-Jürgen Krupp, Hajo Riese, Heinz-Peter Spahn, Hans-Michael Trautwein, Gert G. Wagner.
Vorstand: Jürgen Kromphardt als 1. Vorsitzenden, Gert G. Wagner als dessen Stellvertreter sowie Gustav A. Horn als stellv. Vorsitzenden und Schatzmeister.

Was soll man sagen? Vielleicht als erste Empfehlung:
Liebe Herren, besuchen Sie doch gelegentlich die Vorlesungen Makro- und Mikroökonomie an der Universität Bayreuth oder Freiburg. Sie werden erstaunt sein, welchen Stand selbst solche veränderungsresistenten Wissenschaften wie die der Volkswirtschaftslehre mittlerweile erreicht haben.

Informieren Sie sich - trauen Sie sich! Sie werden es nicht bereuen.
Ihr Junge

An Politiker aller Länder: Prosperität könnte so einfach erreicht werden....

Leitartikel Wirtschaft
Aus Schaden klüger
Von Michael Stabenow, Brüssel


Im Kreis der europäischen Defizitsünder fehlt ein Land, das einst dort Stammgast war. Das war zu Zeiten, als vom Stabilitäts- und Wachstumspakt noch nicht die Rede war. Daß Belgien nun im fünften Jahr nacheinander einen nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt vorweist, ist vor allem ein Erfolg der strengen Vorgaben für die Aufnahme in den Kreis der Euro-Länder. Beflügelt von dem Ziel, 1999 zu den Gründungsmitgliedern der Währungsunion zu gehören, gelang es Belgien vor zwei Jahrzehnten, den Teufelskreis des Schuldenmachens durch radikale Ausgabenkürzungen zu durchbrechen. Bis 2004 dauerte es, den öffentlichen Schuldenstand, der 1993 fast 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprach, wenigstens unter hundert Prozent zu drücken. Nach den Spielregeln vom Maastricht, zu denen sich die belgische Regierung nach wie vor deutlicher bekennt als andere, sind nur sechzig Prozent erlaubt.


Das erklärt, warum die seit sechs Jahren regierenden Liberalen und Sozialdemokraten keine andere Wahl haben, als an einer Politik der weiteren Sanierung der Staatsfinanzen festzuhalten. Ob die Koalition aus Einsicht oder Not dieser Linie folgt, ist zweitrangig. Der Erfolg gibt ihr recht. Das Königreich der Flamen und Wallonen weist zwar kein spektakuläres Wirtschaftswachstum auf, die Zuwachsraten liegen aber höher als bei den Nachbarn Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. 2003 legte die Wirtschaft um 1,3, im vergangenen Jahr um 2,5 Prozent zu. Die EU-Prognosen lassen allerdings befürchten, daß der mühsam erkämpfte Vorsprung wieder schwinden könnte und Belgien mit Zuwächsen um zwei Prozent in den kommenden Jahren ins europäische Mittelfeld abrutschen könnte.

Daher müht sich auch Belgien um Reformen des Steuer- und Sozialsystems. Eher konventionell ist die Steuerreform, die im nächsten Jahr mit einer Entlastung für Unternehmen und Arbeitnehmer in Höhe von 1,3 Prozent des BIP ihre volle Wirkung entfalten dürfte. Belgien setzt aber auch auf andere Wege. So entfallen seit Jahresbeginn bei besonders einkommensschwachen Personen die Eigenbeiträge zur Sozialversicherung. Dies soll den Anreiz Langzeitarbeitsloser, die in Belgien immer noch vergleichsweise großzügig alimentiert werden, zur Rückkehr ins Erwerbsleben steigern. Ebenfalls seit Jahresbeginn läßt sich die Kinderbetreuung steuerlich besser als bisher absetzen. Von Oktober an entfallen zudem für Forscher, von denen man sich die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erhofft, in beträchtlichem Maß Sozialabgaben.

Trotz dieser ermutigenden Zeichen kommt Belgien, wie die gerade von der EU-Kommission vorgelegte Bewertung seines Arbeitsmarkts belegt, nur schleppend voran. Dies gilt besonders für die Wiedereingliederung von Arbeitnehmern, die älter als 54 Jahre sind. Von diesen ist nur ein Viertel erwerbstätig. Umfänglichen Vorruhestandsregelungen stehen zu wenige Weiterbildungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe gegenüber. Auch bei der Förderung schlechter qualifizierter Menschen tut sich Belgien schwer.

Ungewiß ist, ob der Plan des liberalen Regierungschefs Guy Verhofstadt, bis zum Sommer mit den Sozialpartnern eine Rahmenvereinbarung zur beruflichen Wiedereingliederung älterer Menschen auszuhandeln, aufgehen wird. Verhofstadt steht mit der leichtsinnigen Ankündigung im Wort, bis Mitte 2007 in Belgien 200000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Wirklichkeit zeigt, wie riskant solche Zahlenspiele sind. Die Arbeitslosenzahl steigt und nähert sich der Marke von 600000, das sind rund acht Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung. Dennoch liegt die Arbeitslosenrate damit um fast einen Prozentpunkt unter dem Schnitt des Euro-Raums.

Daß die Sozialpartnerschaft trotz der in Wallonien traditionell großen Streikbereitschaft funktioniert, zeigt eine von Gewerkschaften und Arbeitgebern der Privatwirtschaft ausgehandelte Tarifvereinbarung, die den Anstieg der Löhne und Gehälter in diesem und im kommenden Jahr auf insgesamt 4,5 Prozent begrenzt. Dies mag hoch erscheinen. Berücksichtigt man jedoch einen voraussichtlichen Preisauftrieb um 3,3 Prozent und zusätzliche Einschränkungen, bliebe für Arbeiter ein Aufschlag um 1,2 Prozent.

Die Sozialpartner verweisen darauf, daß die Produktivitätszuwächse in Belgien höher als in den meisten anderen EU-Ländern ausfallen. 2004 gab es nach einer Studie eines amerikanischen Forschungsinstituts einen Zuwachs um 2,2 Prozent. Damit lag Belgien klar über dem Mittelwert von 1,3 Prozent für die bisherigen EU-Länder. Doch verdecken die Zahlen strukturelle Schwächen. Wegen des überhöhten Abgaben- und Steuerniveaus mußten viele belgische Unternehmen schließen - mit der rechnerischen Folge, daß sich die durchschnittliche Produktivität bestehender Betriebe erhöhte.

Steigende Arbeitslosigkeit und eine auf unter 60 Prozent abgesunkene Beschäftigungsquote sollten Regierung und Sozialpartnern eine Warnung sein. Für Verhofstadt gibt es keinen Grund, sich selbstzufrieden zurückzulehnen, zumal das Land gerade ein weiteres Mal von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden droht. Eine für Ausländer kaum nachvollziehbare Spielart des Sprachenstreits gefährdet die Brüsseler Regierung. Es geht darum, ob die zweisprachige Hauptstadt und die vor ihren Toren gelegenen flämischen Umlandgemeinden weiter einen gemeinsamen Wahl- und Gerichtsbezirk bilden dürfen. Der seit Jahren schwelende Streit zwischen Niederländisch- und Französischsprachigen bringt die Koalition in Bedrängnis. Unter dem Druck der in Umfragen zur stärksten politischen Kraft Flanderns aufgestiegenen fremdenfeindlichen Oppositionspartei "Vlaams Belang" verhärten sich die Positionen. Eine Regierungskrise aber kann sich die politische Führung des Landes jetzt am allerwenigsten erlauben.



Text: F.A.Z., 16.02.2005, Nr. 39 / Seite 11

Die Stimmung des Deutschen Volkes

Deutsche Fragen - deutsche Antworten
Die Schwäche einer verzagten Nation
Von Professor Dr. Renate Köcher


16. Februar 2005 Die Meldungen vom Arbeitsmarkt sind dazu angetan, eine Besserung der Stimmung in der Bevölkerung im Keim zu ersticken.
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Zwischen November und Mitte Januar hatte sich der Anteil an der Bevölkerung, der die ökonomischen Aussichten für die kommenden Monate pessimistisch einschätzt, ständig zurückgebildet, von 46 auf 32 Prozent. Dieser Trend ist vorläufig gebrochen. Mittlerweile befürchten wieder 37 Prozent eine Abwärtsentwicklung; lediglich 18 Prozent hoffen auf einen dynamischen Aufschwung, 39 Prozent erwarten weitgehend stabile wirtschaftliche Daten.

Keine Illusionen


In bezug auf die weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes gibt sich die Bevölkerung keinen Illusionen hin. Nur wenige rechnen mit raschen Erfolgen, die Mehrheit nimmt an, daß die Arbeitslosigkeit auch mittel- und langfristig weiter steigt. Die Bevölkerung beobachtet in ihrer Umgebung etwa anhand der spektakulären, in den Medien berichteten Fälle, wie die Unternehmen an ihren Kosten arbeiten, Personal abbauen und Unternehmensteile an kostengünstigere Standorte verlagern.

66 Prozent der Leute ist bewußt, daß viele Unternehmen Teile ihrer Produktion, zunehmend auch Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verlagern; die Mehrheit rechnet damit, daß dieser Trend in den nächsten zehn Jahren an Dynamik gewinnen wird. Nur 9 Prozent der Bevölkerung erwarten, daß sich die Unternehmensmigration verlangsamt. 48 Prozent der gesamten Bevölkerung halten Deutschland als Wirtschaftsstandort mittlerweile für ernsthaft gefährdet; nur noch 31 Prozent verfolgen die seit Jahren andauernde Standortdebatte mit der optimistischen Einschätzung, daß das Thema überbewertet, die Gefahren übertrieben würden.

Hohe Belastungen

Die Bevölkerung erkennt eine größere Zahl von Belastungsfaktoren, welche die wirtschaftliche Entwicklung hemmen und Deutschlands Zukunftschancen beeinträchtigen: vor allem die wuchernde Bürokratie und Regelungswut, die Steuer- und Abgabenlast, ein unzureichend qualifiziertes Management in einem Teil der Unternehmen, hohe Energiepreise, zu lange Genehmigungsverfahren, die Fehlsteuerungen durch staatliche Subventionen, Mängel im deutschen Bildungssystem, die hohe Staatsverschuldung.

83 Prozent machen die Perfektionierung bürokratischer Verfahren verantwortlich, 77 Prozent die Höhe der Steuern und Abgaben, 61 Prozent die hohen Energiepreise, 53 Prozent Subventionen für nicht wettbewerbsfähige Branchen. Dagegen nehmen nur 24 Prozent an, daß die wirtschaftlichen Zukunftschancen Deutschlands vor allem durch die Globalisierung beeinträchtigt werden (Tabelle).

Die Politik muß steuern

Als Belastungen identifiziert die Bevölkerung damit in erster Linie Parameter, die unmittelbar durch die nationale Politik steuerbar sind. Dies ist ein Mißtrauensvotum gegenüber der Politik, zugleich jedoch der Nährboden für Optimismus: Die Bevölkerung ist überzeugt, daß Korrekturen an den richtigen Stellen den Standort nachhaltig stärken würden. 59 Prozent der Bevölkerung glauben daran, daß die Abwanderung von Unternehmen gebremst oder sogar umgekehrt werden kann.

Auch das Argument, daß Deutschland im Wettbewerb mit Niedriglohnländern auf verlorenem Posten steht, mit osteuropäischen oder gar chinesischen Löhnen nicht konkurrieren kann, macht die Mehrheit der Leute nicht in ihrer Überzeugung irre, daß der Standort Deutschland durch politische Maßnahmen erfolgreich gestärkt werden könnte.

Schwaches Selbstvertrauen

Trotzdem ist das Vertrauen in die eigenen Kräfte und Handlungsmöglichkeiten zu gering, der Anteil derer zu groß, der die Zukunft fatalistisch ausschließlich von den machtvollen weltweiten Entwicklungen abhängig sieht und daher ein Ausgeliefertsein fühlt. 38 Prozent der Bevölkerung werden von diesem Empfinden bestimmt; 44 Prozent sind demgegenüber der Auffassung, daß die Zukunft vor allem davon abhängt, wie das Land auf die internationalen Entwicklungen reagiert, wieweit es alle Kräfte einsetzt, um die eigenen Stärken zur Geltung zu bringen und die Chancen zu nutzen.

Nur eine Minderheit nimmt jedoch an, daß dieser Weg konsequent verfolgt wird. Das Selbstvertrauen, die Herausforderungen erfolgreich bestehen zu können, ist nur schwach entwickelt. Lediglich 29 Prozent der Bevölkerung sind überzeugt, daß Deutschland seine Schwierigkeiten in absehbarer Zeit in den Griff bekommen wird. Der Optimismus, daß mit den richtigen Maßnahmen durchaus nachhaltige Erfolge erzielt werden könnten, wird von der tiefsitzenden Skepsis überlagert, ob dieser Befreiungsschlag tatsächlich erfolgen wird.

Alle erwarten eine Verschlechterung

Deutschland wird von der Einschätzung gelähmt, daß es seine beste Zeit hinter sich hat und von der Zukunft nur eine Verschlechterung des Status quo erwarten kann. Die Mehrheit rechnet mit der sukzessiven Senkung des erreichten Wohlstandsniveaus, richtet sich auf härtere Zeiten und wachsende Risiken ein. Eine Gesellschaft, die fürchtet, mehr verlieren als gewinnen zu können, tendiert fast zwangsläufig dazu, eher in Kategorien der Schadensbegrenzung zu denken als ihre Chancen zu suchen.

Diese Denkweise prägt die Reformdiskussionen ebenso wie die Analyse der Position Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Auch wenn nur eine Minderheit die Globalisierung als einen der bedeutendsten Belastungsfaktoren für die Entwicklung des Landes sieht, überwiegt die Einschätzung, daß die globalen wirtschaftlichen Tendenzen für Deutschland mehr Risiken mit sich bringen als Chancen.

Ein Land mit den Voraussetzungen der Bundesrepublik kann weder in einer personalaufwendigen Fertigung noch in einfachen standardisierten Massenproduktionen seine Zukunft suchen. Seine Chancen liegen in Produkten, die eine hervorragende Infrastruktur und gut ausgebildete Arbeitskräfte voraussetzen, in Forschungsleistungen und Innovationen, in zuverlässig hoher Qualität und in komplexen Produkten und Problemlösungen.

Autos, Umwelt- und Medizintechnik

Die Bevölkerung hat durchaus eine klare Vorstellung davon, was Deutschland aufgrund seiner Voraussetzungen, Erfahrungen und seiner Mentalität besonders gut kann: Autos bauen, die in der ganzen Welt begehrt sind, Industrieanlagen fertigen, Technologien und Verfahren entwickeln, die Umweltschutz voranbringen, wissenschaftlich forschen, besonders die medizinische Forschung vorantreiben, sowie Schiffe, Flugzeuge und sichere Reaktoren bauen.

Die Einschätzungen, in welchen Branchen für die Zukunft Deutschlands die größten Chancen liegen, sind jedoch nur eingeschränkt an den Vorstellungen von eigenen Stärken ausgerichtet. An der Spitze der Branchen, denen das größte Potential, die größte Bedeutung für die künftige Entwicklung des Landes zugeschrieben wird, stehen nahezu gleichauf die Autoindustrie und die Hersteller von Windkraftanlagen und Solarzellen; 51 Prozent der Bevölkerung rechnen die Autoindustrie, 50 Prozent die Produzenten von Anlagen für die Nutzung regenerativer Energien zu den erfolgsträchtigsten Zukunftsbranchen - vor der Pharmaindustrie (44 Prozent), der Chemischen Industrie (40 Prozent), Telekommunikation, Finanzdienstleistungen und Maschinenbauindustrie, die von jeweils gut einem Drittel genannt werden.

Wenig Hoffnung in Kerntechnik

Das Ausmaß der Hoffnungen, die die Bevölkerung auf die Hersteller von Windkraftanlagen und Solarzellen richtet, ist mehr ein Indiz für die Wirksamkeit politischer Programmatik und Suggestion als für klare Vorstellungen von der Bedeutung von Branchen. Mit politischen Vorgaben hat auch zu tun, daß nur 12 Prozent die Kerntechnologie zu den Sparten rechnen, die für Deutschlands Zukunft große Chancen bieten - ein Gebiet, auf dem Deutschland über Jahrzehnte Weltruf genoß.

Auch der Gentechnologie schreibt nur eine Minderheit großes Potential zu: Zwar rechnen 44 Prozent die Pharmaindustrie zu den für die Zukunft entscheidenden Branchen, aber nur 22 Prozent messen den speziell mit gentechnologischen Verfahren befaßten Unternehmen dieselbe Bedeutung zu. Unter dem Eindruck des Kurses der Bundesregierung hat sich in den letzten Jahren bei den Bürgern kontinuierlich die Überzeugung verstärkt, daß Deutschland kein geeigneter Standort für Unternehmen ist, die auf diesem Gebiet forschen und arbeiten.

„Deutschland überläßt die Forschung anderen”

Vor vier Jahren waren noch 31 Prozent überzeugt, daß dieses Land für Unternehmen der Gentechnologie ein guter Standort ist, heute sind es noch 18 Prozent; umgekehrt hat sich der Anteil, der die Bundesrepublik hier für einen schlechten Standort hält, von 31 auf 43 Prozent erhöht. 57 Prozent stimmen der Kritik zu, daß Deutschland zunehmend abhängig wird, da es die Forschung und Entwicklung neuer Verfahren und Produkte auf wichtigen Feldern anderen Ländern überläßt.

Bemerkenswert ist jedoch der Gleichmut, mit dem viele die Abwanderung zukunftsträchtiger Forschungsaktivitäten verfolgen. So halten 43 Prozent Deutschland für einen schlechten Standort für die Erforschung, Entwicklung und den Einsatz gentechnischer Verfahren; nur 17 Prozent halten dies jedoch für nachteilig und beunruhigend.

Weniger emotionale Kritik an Gentechnik

Das ist nicht mit Ängsten und Vorbehalten gegenüber einem Forschungsfeld zu erklären, das in die öffentliche Diskussion vor vielen Jahren mit apokalyptischen Visionen einer mißbräuchlichen Anwendung eingeführt wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt heute eine positive oder neutrale Position zum Einsatz gentechnischer Verfahren ein. Insbesondere auf medizinischem Gebiet verbindet die überwältigende Mehrheit mit der Gentechnologie große Hoffnungen.

Ein Emotionstest zeigt, daß sich das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren erheblich verändert hat. Wenn eine Expertendiskussion über die Einsatzmöglichkeiten der Gentechnologie simuliert und von einem Zwischenrufer aus dem Publikum mit dem Protest unterbrochen wird: "Was interessieren mich Zahlen und Statistiken in diesem Zusammenhang. Wie kann man überhaupt so kalt über ein Thema reden, bei dem es um künstliche Eingriffe in die Natur geht!", so sympathisieren heute noch 39 Prozent der Bevölkerung mit dem Zwischenrufer.

Auch die Zahl der Kernkraftgegner nimmt ab

Mitte der neunziger Jahre konnte sich der emotionale Protest gegen diese Forschungsrichtung noch der Unterstützung der Mehrheit, nämlich von 51 Prozent der Bevölkerung, sicher sein.Auch die Kernenergie wird heute wesentlich nüchterner beurteilt als in den achtziger oder noch Anfang der neunziger Jahre. Der Ausstiegsbeschluß der rot-grünen Koalition war eine politische Entscheidung, die nicht auf den Druck der Mehrheit der Bevölkerung zurückging.

Die Zahl der engagierten Kernkraftgegner, die auf einen möglichst raschen Ausstieg dringen, hat stetig abgenommen und beträgt heute weniger als ein Fünftel der Bevölkerung. Das Problem ist jetzt nicht mehr, daß Deutschland Weltanschauungskriege führt, wo andere Länder kühl Chancen und Risiken prüfen. Das Problem ist eine mangelnde Auslotung und Nutzung von Chancen in Verbindung mit einer mentalen Schwäche, die verhindert, daß die Zukunft selbstbewußt als vielversprechende Herausforderung angenommen wird.


Bildmaterial: F.A.Z.

European Economies: Shrinking Giants

Europe's shrinking giants

Feb 15th 2005
From The Economist Global Agenda


The economies of Germany and Italy both shrank in the past quarter. But Germany’s prospects look less grim than those of its southern neighbour





Get article background

EUROPE’S biggest economy got a little smaller last quarter. Germany’s GDP shrank at an annualised rate of 0.9% in the last three months of 2004, according to first estimates released on Tuesday January 15th. The economy thus failed to live up to the diminished expectations of analysts, who anticipated some growth, however weak, in Europe’s supine giant.

Germany’s is not the only big European economy stretched flat on its back. Italy’s GDP also fell, at an annualised rate of 1.2%, in the fourth quarter. The euro area as a whole managed to grow at an anaemic annual pace of about 0.8%, pulled along by France, which grew by 2.8%, and Spain, which reported healthy growth of 3.2%. The euro-area countries share a common currency, but not a common fate.

Germany’s plight is perhaps the most puzzling. The typical German recovery is led by exports, and 2004 was a vintage year for world trade. Germany carried off the prize for the world’s leading exporter (of goods, if not of services) for the second year in a row. But Germany’s impressive performance overseas failed to stir much demand at home. The stimulating effects of foreign sales normally multiply throughout the domestic economy. But this time, the “export multiplier”, as economists call it, came to nought.

What went wrong? According to Goldman Sachs, an investment bank, Germany’s “silent corporate revolution” may be partly to blame. The much noisier overhaul of Germany’s welfare system, pursued by Gerhard Schröder, the chancellor, may also have been a factor. German firms have squeezed extra hours out of their workers, but for no extra pay. In June, for example, Siemens lengthened the working week from 35 hours to 40 in two plants, without raising wages. Wage moderation has also prevailed in Germany’s public sector. Workers, therefore, had no extra money to spend: retail sales fell in December, for the third month in four. The shops, in turn, had no reason to hire. Thus the sales assistants they might have employed remained on Germany’s jobless rolls, which topped 5m in December, where they linger, waiting for Mr Schröder to cut their benefits.

The contrast with France is quite stark. Buoyed by low interest rates and high house prices, the French have shed their reluctance to spend. Goldman Sachs reports that French household consumption, in real terms, increased by 8.7% between 2000 and 2004. In Germany, it grew by just 0.8%. The French economy has thus enjoyed several spurts of growth in recent years. It is, says Charles Dumas of Lombard Street Research, an economic consultancy, a race between the French hare and the German tortoise.

There are now some hopeful signs of the German tortoise coming out of his shell. The country’s corporate revolution has weakened labour’s claim on the national product, leaving more room for profits. That, and low interest rates, should encourage firms to invest and, eventually, with luck, create jobs. German makers of machinery and the like reported strong interest in their products in December. Indeed, orders from German customers reached their highest level since records began in 1991. The mood of analysts and institutional investors is also lifting, according to Germany’s Centre for European Economic Research (ZEW). Its widely-watched index of economic sentiment, released on Tuesday, showed a clear improvement in February, following a similar rise the month before.

Reasons for optimism are harder to find in Italy. For years, the Italians congratulated themselves over il sorpasso, their national income’s surpassing of Britain’s (since reversed). The tightly-knit clusters of textile firms that dotted the Emilia-Romagna region inspired a new interest in industrial ecology, as governments everywhere tried to cultivate their own thriving industrial districts.

Many in Italy now think their industrial ecology is facing a wave of extinction. The Italians, like the Germans, fear the competitive threat from eastern Europe and East Asia. Neither country can possibly compete with the low-wage labour such countries offer. But the Italians, unlike the Germans, thus seem to have concluded that restraining labour costs is futile.

Such defeatism is misplaced. Competitiveness is not simply a matter of low wages. In the Czech Republic, for example, manufacturing wages are less than a fifth of those paid in Germany. But Czech workers are also much less productive. Thus the labour costs of making a unit of output, according to Goldman Sachs, are 72% of the costs incurred in Germany.

Besides, competitiveness is a matter of degree, not kind. Raising competitiveness a notch raises an economy’s prospects incrementally. As Germany has gained a grip on the cost of its labour, it has maintained its share of world export markets, even as Italy’s has declined. The Italians therefore need to emulate Germany’s silent corporate revolution—although not much in Italy happens noiselessly. The revolution’s rewards may be slow and incremental. But that is better than adding to the country’s slow and steady losses.

Crosby&Nash: The show must go on

Crosby & Nash
Leg dich gut wieder hin, altes Haus
Von Hans Zippert

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16. Februar 2005 Es geht wuchtig los mit „Military Madness”, einer Graham-Nash-Komposition aus dem Jahr 1971. „Wir beginnen jedes Konzert mit diesem Lied”, erklärt David Crosby, „damit ihr wißt, wir sind die besseren Amerikaner.” Mit so einer Bemerkung kann man auch noch das beschränkteste deutsche Publikum auf seine Seite ziehen, aber wenn jemand solche Platitüden aussprechen darf, dann diese beiden.


David Crosby und Graham Nash sind schon von Berufs wegen die besseren Amerikaner. Sie spielen seit 1968 zusammen, standen immer auf der richtigen Seite und haben für das Gute gekämpft: gegen Haß, Gewalt, Ausbeutung und für Liebe, Frieden und Wale. Das ist ein knallharter Job, und David Crosby mußte den Kampf mehrmals unterbrechen, wegen Drogenproblemen, Gefängnisaufenthalten und einer Lebertransplantation. Das Leben hat ihm stärker zugesetzt als seinem Partner, der erstaunlich frisch wirkt und dessen Stimme vor allem zu Anfang beinahe unverändert scheint, was bei fast vierzig Jahre alten Liedern kaum zu glauben ist.

Der Brite und der Hippie

Graham Nash, in Manchester geboren, sah vielleicht in seinem ganzen Leben nie englischer aus als heute, was einen reizvollen Gegensatz zu dem ewigen Hippie David Crosby bildet. Vor seiner Zusammenarbeit mit dem Amerikaner war er von 1961 bis 1967 Mitglied der „Hollies”, einer der unterschätztesten Popgruppen aller Zeiten. Damals erreichte Nash Höhen, die nie ein Mensch vor ihm erreicht hatte, heute kommt er immer noch erstaunlich weit.

Das Verblüffende an diesem Konzert ist, daß es vollkommen unpeinlich verläuft. Obwohl die alten Nummern den Schwerpunkt bilden, ist es kein Oldie-Abend. Statt dessen klingt das aktuelle Material fast am besten, weil es am authentischsten und auf die altersbedingt leicht reduzierten stimmlichen Fähigkeiten der Künstler zugeschnitten ist. An den meisten neuen Stücken hat James Raymond, Crosbys Sohn, mitgewirkt, das bewegende „Lay me down” schrieb er ganz allein. Damit scheint sichergestellt, daß dieser großartige Familienbetrieb auch in Zukunft weitergeführt werden kann.

Merkwürdige Assoziationen

Stilistisch ist alles aus einem Guß, es wirkt etwas schwermütiger als früher, die alte Leichtigkeit tritt naturgemäß in den Hintergrund; dafür hört es sich oft angriffslustiger an. Manchmal stellen sich merkwürdige Assoziationen ein. Bei „Immigration Man” muß man plötzlich an Joschka Fischer denken, was dem Stück aber nicht schaden kann.

Noch immer ist der Zusammenklang ihrer Stimmen ein außergewöhnliches Ereignis, was sie durch eine phantastische Interpretation des hymnischen „A critical Mass” unter Beweis stellen. Die neue Platte habe aus finanziellen Gründen in wenigen Tagen eingespielt werden müssen, erzählt Crosby. „Es lief wirklich sehr schnell, ich war nur für zwei Stunden beim Zahnarzt, und da hatten sie das nächste Stück komponiert und aufgenommen. Als ich wegging, existierte es noch nicht einmal.” Gemeint ist „Milky Way Tonight”, das zwar schnell komponiert wurde, aber trotzdem für die Ewigkeit geschrieben sein könnte.

Ungewöhnlich viele Raucher

Das größtenteils männliche Publikum ist mit den Künstlern gealtert und besteht aus ungewöhnlich vielen Rauchern, wie man in der Pause im Foyer bemerken kann. Neunzig Prozent der Anwesenden dürften sich die erste Platte von Crosby, Stills & Nash schon im Erscheinungsjahr 1969 auf Vinyl gekauft haben. Im Jahre 2005 halten ihre Frauen kleine Apparate in die Luft, mit denen man gleichzeitig telefonieren und fotografieren kann.

Als „Marrakesh Express” geschrieben wurde, waren Telefone noch aus Bakelit und durch eine Schnur mit der Wand verbunden; niemand wäre auf den Gedanken gekommen, im Konzertsaal damit zu fotografieren, so lange Kabel gab es ja auch gar nicht. Man fragt sich: Ist es möglich, analoge Künstler digital zu fotografieren? Außerdem merkt man hier, wie viele verschiedene Formen von Haarausfall es gibt. Beim Haarwuchs gibt es weniger Variationsmöglichkeiten. David Crosby singt dazu „Almost cut my Hair” und weist auf sein an den meisten Stellen immer noch sehr langes eigenes. Gegen Ende hat er das Kommando übernommen, seine Stimme wirkt mit jedem Stück kraftvoller, während Nash fast unmerklich tiefer rutscht.

Es wäre falsch zu sagen, wir hätten erlebt, was es heißt, in Würde zu altern - die Künstler sind erst dreiundsechzig Jahre alt und üben einfach ihr Handwerk aus, das sie hervorragend beherrschen. Sie beenden den Abend mit „Our House” und „Teach your children”. Obwohl man den Text schon länger nicht mehr gehört hat, kann man problemlos mitsingen, so funktionieren nur die wirklich guten, großen Kirchenlieder. Dann ist es leider vorbei. Für zweieinhalb Stunden schien die Welt wieder etwas einfacher. Die Bösen waren die Militärs, das Großkapital und die korrupten Politiker. Wenn man es genau überlegt, was ist eigentlich so falsch daran?


Text: F.A.Z., 16.02.2005, Nr. 39 / Seite 38
Bildmaterial: ddp

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