Dienstag, 22. Februar 2005

Die Blogger sind los

Internet
Die Blogger sind los
Von Nina Rehfeld


22. Februar 2005 Als vergangene Woche der CNN-Nachrichtenchef Eason Jordan nach umstrittenen Äußerungen über die Rolle amerikanischer Soldaten beim Tod von Journalisten im Irak zurücktrat, triumphierte die sogenannte Blogosphäre, die seinen Sturz maßgeblich herbeigeführt hatte.


"An alle Leser, Kommentatoren, E-Mailer und Blogger, die sich an dieser Sache beteiligt haben", hieß es auf "Easongate.com", einer eigens zur Verfolgung Easons gegründeten Internetseite: "Danke. Dies ist ein Sieg für jeden Soldaten, der diesem Land ehrenwert gedient hat." Bei "Chronwatch.com" hieß es: "Anders als die Mainstream-Medien sind wir im Geschäft der Wahrheit." Tatsächlich sollten sich die selbsternannten Wahrheitswächter einer beispiellosen Hexenjagd durchaus schämen.

Denn die "Wahrheit" darüber, was Eason auf einer Podiumsdiskussion des Weltwirtschaftsforums in Davos Ende Januar genau gesagt hat, liegt bis heute im dunkeln. Zwar existiert ein Videoband, das die Podiumsdiskussion zum Thema "Wird die Demokratie die Medien überleben?" dokumentierte, doch das Forum weigert sich bislang, es zu veröffentlichen. So hat das Blog-Tribunal sein Urteil eben auf Hörensagen aufgebaut. Mag da noch jemand behaupten, die Blogger seien moderne Journalisten?

Keine "Kollateralschäden", sondern gezielt umgebracht

Denn übereinstimmend berichteten die Zeugen der Diskussion (darunter der Nachrichtenchef von BBC, ein demokratischer Kongreßabgeordneter und ein Journalist des "Wall Street Journal") bisher allenfalls, daß Jordan behauptete, zumindest zwölf der bislang über sechzig getöteten Journalisten im Irak seien keine "Kollateralschäden", sondern gezielt umgebracht worden.

Einig sind sich die Zeugen auch darüber, daß Jordan die Brisanz seiner Bemerkung erkannte und sie sogleich relativierte. Jordan selbst sagte später in einem Statement, er habe "niemals angenommen, daß das amerikanische Militär versuche, Journalisten umzubringen". Doch da war die Spekulationsmaschinerie im Internet bereits heißgelaufen. Um im Interpretationswirrwarr um seine Äußerungen Glaubwürdigkeitsschaden von CNN abzuwenden, nahm Jordan seinen Hut. Die eigentliche Geschichte und langgehegte Sorge Jordans - ob Journalisten in Kriegsgebieten sicher genug sind - ging unter.

Offene Fragen und Verschwörungstheorien diskutieren

Sieben Millionen Blogs beobachtet die Internetsuchmaschine Technorati.com, Tag für Tag kommen Schätzungen zufolge vierzigtausend neue dazu, und mehr als dreißig Millionen Menschen lesen sie. Blogs, kurz für Weblogs, sind interaktive Online-Foren, in denen die Nutzer ihre Gedanken, Beobachtungen und Urteile vor allem zu politischen Themen austauschen. Auftrieb bekamen Blogs nach den Terroranschlägen vom 11.September 2001, als zahlreiche Internetnutzer das Bedürfnis verspürten, offene Fragen und umfangreiche Verschwörungstheorien zu diskutieren.

Inzwischen ist aus dem Trend eine Institution geworden, und sie hat bisweilen beachtliche Macht bewiesen: So brachten Blogger Ende 2002 den republikanischen Senator Trent Lott zu Fall, nachdem rassistische Äußerungen von ihm übers Internet verbreitet wurden. Die Blogosphäre spielte im vergangenen Jahr eine wichtige Verstärkerrolle bei den Skandalen um die Journalisten Jack Kelley und Jayson Blair, die renommierte Zeitungen wie die "New York Times" und "USA Today" mit fabrizierten Storys betrogen.

Lauffeuerklatsch

Eine rasch wachsende Blog-Diskussion um die Echtheit der Bush-Memos, die Dan Rather im September bei CBS präsentierte, zwangen den Moderator schließlich, zuzugeben, daß der Sender die Authentizität der Dokumente nicht garantieren könne. Zuletzt brachten die Blogger den Fall des Korrespondenten Jeff Gannon alias James Gluckert im Weißen Haus aufs Tapet, der es unter Pseudonym ins Pressekorps schaffte.

Doch der kaum zu steuernde Wirkungskreis der Blogosphäre liegt weniger auf dem Gebiet des authentischen Journalismus, sondern auf dem von Lauffeuerklatsch. So fand Eason Jordan in der frei flottierenden Gerüchteküche weder die Zeit noch den Raum für eine authentische Klarstellung des Geschehens, die Blogger hatten ihn mit ihrer Urteilsschnelligkeit schlicht überrannt. Und nicht zufällig teilt sich die amerikanische Blogosphäre sauber in Konservative und Liberale, die beiderseits zur Jagd auf Größen der Mediengesellschaft - jeweils aus dem anderen Lager - blasen. An Anzahl und Prominenz ihrer Opfer bemißt die Blog-Gemeinde, darin ganz ähnlich der Klatschpresse, ihre Macht.

"Oscar für Ahnungslosigkeit"

In "Businessweek" bemerkte der Autor Stephen Baker dazu, daß "die Gefahr" nicht von der Technologie ausgehe, "sondern von der wütenden, polarisierten Gesellschaft, die sie nutzt. Es sind immer noch die traditionellen gesellschaftlichen Kräfte, die Manager und Politiker, die die Machtworte in diesen Dingen sprechen."

Wie zur Illustration stolperte der prominente Blogger Matt Drugde am selben Tag, als er in seinem "Drudge Report" veröffentlichte, mehrere Mitglieder der Oscar-Academy fürchteten um den Ruf der Veranstaltung, nachdem der designierte Moderator Chris Rock dem Magazin "Entertainment Weekly" gesagt hatte: "Welcher heterosexuelle schwarze Mann guckt schon die Oscars?" Und: "Preisverleihungen für Kunst sind lächerlich." Doch der gewünschte Skandal blieb aus, die "Washington Post" verlieh Drudge sogar hämisch den "Oscar für Ahnungslosigkeit". Und der Organisator der Veranstaltung, Gil Cates, seufzte nur: "Der Mann ist Komiker, um Himmels willen!" Bei der Humorlosigkeit der Blogger hätte es aber auch anders ausgehen können.


Text: F.A.Z., 22.02.2005, Nr. 44 / Seite 40
Bildmaterial: AP

Bush kommt - und alles steht still

Bush läßt bei Opel alle Räder stillstehen
Unternehmen arbeiten weniger oder schließen/Schadenersatz im Einzelfall/Von Hans-Christoph Noack und Georg Giersberg


FRANKFURT, 21. Februar. Am morgigen Mittwoch wird das Rhein-Main-Gebiet weitgehend stillstehen. Wegen des Besuchs des amerikanischen Präsidenten in Mainz haben alle Schulen der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt geschlossen und viele Behörden nicht geöffnet. Der Verkehr im gesamten Rhein-Main-Gebiet ist stark behindert. Die Schiffahrt auf dem Rhein wird unterbrochen, die Autobahnen ganz oder teilweise gesperrt, Züge müssen ihre Fahrten unterbrechen, was zu Verspätungen weit über die Region hinaus führen wird, im Personennahverkehr sind erhebliche Verspätungen zu erwarten. Aber auch viele Unternehmen in diesem wichtigen Industrie- und Dienstleistungszentrum Rhein-Main bereiten sich schon seit Wochen auf mögliche Einschränkungen vor und erstellen Ablaufpläne, um die Auswirkungen auf die Produktion möglichst gering zu halten.


Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt teilt mit, daß es keine gesicherten Erkenntnisse über das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen bei ihren Mitgliedsunternehmen gebe. "Das ist ein Stochern im Nebel", sagte ein IHK-Sprecher. Auf jeden Fall gelte, je länger die Störungen durch Straßensperrungen dauerten, desto gravierender seien die Folgen. Viele Unternehmen haben indessen ihre Mitarbeiter aufgefordert, einen Tag Urlaub zu nehmen oder Überstunden abzubauen.

Wenn am Mittwoch die Präsidentenmaschine um 9.45 Uhr auf dem Frankfurter Flughafen landet, wird der Flugverkehr am Frankfurter Flughafen, einem der wichtigsten Drehkreuze im internationalen Luftverkehr, für mindestens 15 Minuten gesperrt. Fluggesellschaften wurden aufgefordert, mehr zu tanken, falls die Flugzeuge wegen befürchteter Warteschleifen länger in der Luft bleiben müssen. Denn die Erfahrungen an anderen Flughäfen wie in Brüssel und New York zeigen, daß die Beeinträchtigung durchaus eine Stunde dauern kann.

Bei der Lufthansa, deren wichtigster Flughafen unmittelbar betroffen ist, laufen schon seit Tagen die Vorbereitungen, um für mögliche Einschränkungen gerüstet zu sein. Wie groß das Ausmaß tatsächlich wird, hänge vor allem davon ab, wie lange der Flugraum gesperrt werde. Schließlich müsse nach der Landung die Präsidentenmaschine noch zu ihrer Parkposition rollen, was deutlich länger als eine Viertelstunde dauern könne.

Die Lufthansa versucht ihre 15 Langstreckenflüge, die in diesen verkehrsstarken Zeitkorridor fallen, möglichst zeitnah abzufertigen. Allerdings darf während der Schließung auch kein Catering- oder Tankfahrzeug auf dem Vorfeld bewegt werden. Starts und Landungen sind wahrscheinlich bis zu eine halbe Stunde lang nicht möglich, sagte ein Sprecher des Flughafens auf Anfrage. Er geht davon aus, daß es darüber hinaus auf dem Flugplatz keine weiteren Beeinträchtigungen des Flugbetriebs geben werde. Ein anderer Fall sei die Staugefahr auf den Zubringerstrecken wie den Autobahnen aus dem Rhein-Neckar-Dreieck, dem Raum Köln und Koblenz sowie aus östlicher Richtung. So gebe es Sperrungen des Frankfurter Kreuzes, die Autobahn aus Köln werde bei Niedernhausen für rund zwei Stunden gesperrt. Er forderte die Passagiere auf, "viel, viel Zeit für die Anreise einzuplanen".

Im Zusammenhang mit dem Bush-Besuch in Mainz befürchtet der Automobilclub von Deutschland (AvD) massive Auswirkungen auf den Verkehr. Mehrstündige Vollsperrungen ganzer Autobahnabschnitte zu Hauptverkehrszeiten zwischen 7 und 11 Uhr sowie vom 15 bis 19 Uhr werden nicht nur den Großraum Mainz lähmen, sondern für zeitweiligen Stillstand im gesamten Rhein-Main-Gebiet sorgen.

Aber nicht nur der Passagierverkehr, sondern auch die Luftfracht kann durch die Straßensperrungen beeinträchtigt werden. Schließlich ist der Frankfurter Flughafen eine der größten Luftfrachtdrehscheiben im internationalen Flugverkehr. Eine generelle Sperrung des Luftraums rund 60 Meilen rund um Mainz, das Ziel des amerikanischen Präsidenten, gilt für den Sichtflug. Darunter versteht man kleinere Flugzeuge und Firmenjets. Der Flughafen Egelsbach, dem im Raum in dieser Hinsicht große Bedeutung zukommt, ist ganztägig gesperrt.

Für Fluggesellschaften ist zudem entscheidend, daß ihre Besatzungen rechtzeitig am Flughafen sind. Hotelzimmer am Flughafen sind daher gesucht, vor allem diejenigen, die wie das Sheraton-Hotel unmittelbar am Terminal liegen. Etwas weiter entfernte Hotels, außerhalb des Flughafenrings, könnten von den Straßensperrungen ebenfalls mittelfristig betroffen sein.

Beim Röntgenspezialisten Smiths Heimann in Wiesbaden, der unter anderem die Gepäckdurchleuchtungsgeräte am Flughafen fertigt, richtet man sich darauf ein, daß der Betrieb grundsätzlich ruhen wird. Ein reibungsloser Liefer- und Abtransport sei nicht zu erwarten. Die Mehrzahl der 500 Mitarbeiter werden einen Urlaubstag nehmen. Andere, wie der Zementhersteller Dyckerhoff, wollen den Betrieb aufrechterhalten, rechnen aber damit, dies mit einer eingeschränkten Belegschaft tun zu müssen. Auch der Linde-Konzern rechnet mit erheblichen Einschränkungen. In wichtigen Fällen übernimmt das Unternehmen die Kosten für Hotelübernachtungen, wenn Mitarbeiter wichtige Termine in Wiesbaden wahrnehmen müssen.

Die Opel AG in Rüsselsheim läßt die Produktion vorsichtshalber ganz ruhen. Die beiden Schichten vom 23. Februar werden an den kommenden Samstagen jeweils als Frühschicht nachgeholt - ohne Lohnausgleich, wie eine Sprecherin bestätigt. Frei haben am morgigen Mittwoch jedoch nur die Produktionsmitarbeiter, in der Forschung und in der Verwaltung wird gearbeitet, weil es dort wegen der Gleitzeit nicht auf ein pünktliches Erscheinen ankommt. Aber für die Produktion wäre wegen des großen Einzugsgebiets nicht gewährleistet, daß die Mitarbeiter pünktlich zu Schichtbeginn im Werk sind.

Eine ganz andere Lösung hat man bei den Schott Werken in Mainz gewählt. Schott ist mit 3200 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und - arbeitet am Mittwoch "so normal wie möglich". Allerdings hat man sich auf Störungen vorbereitet. Wer abkömmlich ist, möge bitte Urlaub nehmen, wurde empfohlen. Außerdem sind alle Mitarbeiter rechtzeitig gebeten worden, Kundentermine, Anlieferungen und Abholungen auf andere Tage zu verlegen und nicht für Mittwoch einzuplanen. Die wichtigste Maßnahme ist die Anpassung der Schichtzeiten. So ist der Beginn der Frühschicht auf 5 Uhr vorverlegt worden, um am Morgen allen Straßenabsperrungen zuvorzukommen. Die Schicht endet um 12 Uhr, zu einer Zeit, in der die amerikanische Delegation beim Essen sein dürfte und wahrscheinlich nicht in der Mainzer Innenstadt unterwegs ist. Die Spätschicht läuft ausnahmsweise 10 Stunden, damit die Mitarbeiter um 22 Uhr dann frei von Absperrungen ihren Heimweg antreten können. Mitarbeiter, die am Mittwoch von Rhein-Main ins Ausland fliegen, ist nahegelegt worden, in Flughafennähe ein Hotel zu beziehen, um nicht wegen Staus oder Straßensperrung den Flug zu verpassen.

Unklar ist, ob die Unternehmen für Produktionsausfälle Schadenersatz beantragen können. Bei der Landesregierung in Mainz verweist man darauf, daß es sich um eine Einladung der Bundesregierung handelt und im Zweifel diese für Schadenersatzleistungen zuständig sei. Unabhängig von der Zuständigkeit empfiehlt die Industrie- und Handelskammer Mainz allen Unternehmen, Schadenersatzforderungen bei der örtlich zuständigen Polizeidienststelle einzureichen. Die Polizei leitet sie an die Zivilgerichte weiter. Dort werde jeder Einzelfall geprüft. Es sei zu untersuchen, ob der wirtschaftliche Schaden ursächlich mit dem Bush-Besuch zusammenhänge und ob das Unternehmen alles getan habe, um durch organisatorische Maßnahmen den Schaden so gering wie möglich zu halten. Die meisten Unternehmen vom Kiosk bis zum Großbetrieb haben aber Verständnis für die Widrigkeiten an diesem Tag, sagt ein Polizeisprecher.


Text: F.A.Z., 22.02.2005, Nr. 44 / Seite 20

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