Dienstag, 21. Juni 2005

Manager verhalten sich wie Paviane

Verhaltensmuster
"Manager können von Affen viel lernen"


21. Juni 2005 Als Zoologe hat der Schweizer Robert Keller über Jahre die Kommunikation der Mantelpaviane untersucht. Seine These: Die Verhaltensweisen der Tiere lassen sich mit Abläufen in Wirtschaftsunternehmen vergleichen. Im Interview verrät er Details über die Rolle der Weibchen.


Herr Keller, was können Manager von Affen lernen?

Affen können zumindest Ideen liefern, wie man es in Unternehmen besser machen könnte.

Sie haben zuerst im Zoo und dann in den Chefetagen von Konzernen gearbeitet. Gibt es da tatsächlich Parallelen?


Vorbild Mantelpavian
Als ich vor 23 Jahren den Beruf gewechselt habe, von der Verhaltensforschung im Tiergarten in ein Unternehmen, da ist mir schnell aufgefallen, wie erstaunlich ähnlich alles ist. In den Büros trifft man oft auf Verhaltensweisen wie bei Tieren, die nicht besonders gut gehalten werden.

Wodurch fallen die auf?

Durch Stereotypen, übermäßiges Aggressionsverhalten, übermäßiges Eßverhalten. Nehmen Sie den Tiger, der im Käfig auf und ab geht. Wenn ich bei meinem Vorgesetzten ins Büro ging, stand der auf und marschierte genauso auf und ab. Nach einem halben Jahr in dem Konzern habe ich bei einem Meeting des oberen Managements gesagt, mir kommt das hier vor wie in einer Pavianherde.

Die Manager-Kollegen werden sich über den Vergleich gefreut haben.

Natürlich nicht. Aber genetisch ist der Unterschied zu gewissen Affen sehr klein. Warum soll man da nicht mit gleichen Methoden arbeiten? Man kann damit sehr schnell aufzeigen, welche Faktoren über Erfolg des Individuums und der Gruppe entscheiden, nach welchen Regeln die Beziehungen zwischen Managern und in Teams ablaufen.

Die Untergebenen scharwenzeln um den Chef - in der Affenherde wie im Unternehmen?

Die Parallelen sind nicht zu leugnen: Wie werden Ränge zur Schau gestellt? Wie demonstrieren Ranghohe, daß sie ranghoch sind? Wie erkennen Niedere das an? Bei den Pavianen nähern sich rangtiefe Tiere relativ vorsichtig, manchmal sogar mit dem Hinterteil voran. Beim Menschen gibt es Ähnliches, vom Knicks in früheren Tagen bis zur japanischen Praxis, sich vor Höheren auf den Boden zu legen - alles Zeichen der Unterwerfung wie in der Tierwelt. Dort erkennt man ranghohe Tiere am aufrechten Gang, sie sehen meist gesünder und kräftiger aus - alles beim Menschen sehr ähnlich. Wenn Sie in gewisse Büros reingehen, können Sie gleich sagen: Ah, hier habe ich es mit einem Ranghohen zu tun.

Im Konzern geht es darum, wer wird CEO. Beim Affen-Clan wer wird Harems-Chef. Ähneln sich die Mechanismen des Aufstiegs?

Beidesmal geht es über die Verfügungsgewalt über Mitarbeiter, nur ist das im Unternehmen geschlechtsneutral. Je mehr Mitarbeiter, um so höher rangiere ich in der Organisation. Das gilt für viele Unternehmen wie für Paviane. Je mehr Damen ich habe, desto ranghöher bin ich.

Bei Mensch wie Tier gilt: Entscheidend ist die Hierarchie.

Der Pavian-Chef beherrscht seine Gruppe, seinen Harem. Er sagt, was gut ist und was nicht. Er bestraft Weibchen, wenn sie sich falsch verhalten. Rangtiefe Weibchen können sich in gewissen Situationen aber gegen ranghohe Weibchen durchsetzen, zum Beispiel durch gesicherte Drohung.

Wie sieht die aus?

Das rangtiefe Weibchen kehrt dem Männchen das Hinterteil zu und signalisiert ihm so seine Unterwerfung. Gleichzeitig provoziert es den Blickkontakt zu einem anderen Weibchen. Weil dieses Tier nun zwangsläufig auch das Männchen direkt anschaut, wird es von ihm dafür mit einem Nackenbiß bestraft. Der Clan-Chef zeigt: So nicht!

Daraus lernen wir: Wer sich auf dem Weg nach oben gegen Rivalen durchsetzen will, muß sich erst des Rückhalts des Höchsten versichern.

So ist das zu interpretieren. Wenn ich als rangtiefer zu gewissen Ressourcen Zugang haben möchte, etwa zu Investitionsgeldern für ein Projekt, dann versuche ich den übergeordneten Chef so weit zu bringen, daß er den anderen androht, nicht mich.

Absolute Loyalität zum Obersten zahlt sich für die Karriere aus.

So ist es. Bei Pavianen liefert das rangniedere Weibchen Ehrerbietung und Zuwendung - wenn Sie wollen einen added value, für das Männchen sehr angenehm. Wie das in der Unternehmenswelt zugeht, da schweigt des Sängers Höflichkeit. Die Mechanismen sind vergleichbar.

Und in welchen Bereichen haben uns die Affen etwas voraus?

Bei der Nachfolgeplanung zum Beispiel. Die machen Unternehmen häufig schlecht. Man sendet Headhunter aus, man selektioniert innerhalb der Firma. Am Ende stellt sich trotzdem die Frage: Warum erhält nicht die viel besser geeignete Person die Stelle? Offensichtlich weil andere Dinge eine viel wichtigere Rolle spielen als meine Fähigkeiten: Allianzen, Netze, Partner. Diese Willkür habe ich oft erlebt.

Bei Pavianen dagegen gewinnt der Bessere und Klügere?

Die Entscheidungsfindung läuft viel objektiver, viel transparenter. Der ganze Pavian-Clan sieht: Wer macht die besten Vorschläge zur Nahrungsversorgung, und bei wem bleiben wir hungrig? Wer eine schlechte Lösung präsentiert, dessen Stimme ist über längere Zeit gesehen weniger wert. Es spielt nicht nur die Rangordnung und die Stärke eine Rolle, sondern die Qualität der Vorschläge zum Wohl der Gruppe.

Woran wird das gemessen? Was ist das Unternehmensziel des Pavian-Clans?

Hauptziel der Unternehmung Pavian-Gruppe ist es, zu überleben und sich möglichst gut fortzupflanzen, damit möglichst viele Gene weiterkommen. Dazu gibt es verschiedene Parameter: Ein guter Schlaf-Felsen in der Halbwüste, der vor Feinden schützt. Eine gute Route zum Futter, ein gutes Wasserloch. Daran wird der zukünftige Harems-Chef gemessen, bei schlechten Entscheidungen suchen sich die Weibchen andere Männchen. Weiter sind für diese Männchen Allianzen mit ranghohen Männchen schwieriger. Übertragen auf das Unternehmen: Wird der falsche Chef gewählt, suchen sich die besten Mitarbeiter eine andere Firma.

Wer entscheidet über die Strategie, über den richtigen Weg zum Wasserloch?

Die jungen Männchen schlagen vor, die Höheren urteilen - ähnlich wie im Unternehmen. Die Jungen gehen einige Schritte in die Richtung, die sie für den Marsch zum Wasserloch vorschlagen. Dann setzen sie sich und drehen sich zum Alphatier um. Ist es einverstanden, bewegt es sich auch ein paar Meter in diese Richtung. Wenn nicht, schaut es weg. So stehen immer wieder zwei, drei Männchen auf und gehen ein paar Schritte, während alle anderen zuschauen. Und irgendwann entscheiden sich alle - per Mehrheitsvotum, wenn man so will.

Empfehlen Sie diese Basisdemokratie Unternehmen?

Das Problem jeder Organisation, egal ob Affenherde oder Unternehmen, ist, daß alle in eine Richtung marschieren müssen. Die Paviane beginnen ihre Futtersuche in kleinen Teams, sehen und hören sich stundenlang nicht mehr - und treffen sich am Ende doch am selben Wasserloch. Weil sie wissen, warum sie dort hingehen, weil sie die Entscheidungsfindung beobachtet haben. Bei Unternehmen ist dies häufig nicht der Fall. Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen. Mitarbeiter haben keine Ahnung von dem strategischen Ziel oder interpretieren es falsch, da sie nur die Hälfte der Information bekommen. Und dann staunt das Management, daß nicht alle in die gleiche Richtung ziehen.

Kennen Affen auch taktische Spielchen unter Führungskräften?

Das kann sich der Pavian nicht leisten. Er muß jeden Tag an sein Wasser, er muß jeden Tag sein Futter haben. Beim Menschen spielen mehr soft factors, die schwer zu durchschauen sind, eine Rolle. Es geht auch nicht um Leben und Tod, sondern um mehr oder weniger Gewinn. Der Mitarbeiter kann in die nächste Firma, wenn seine nicht mehr läuft. Der Pavian kann das nicht. Entweder frißt ihn der Leopard oder nicht. Die Selektionsfaktoren sind viel härter, viel klarer, sie greifen viel tiefer ein ins Leben des Individuums und der Gruppe.

Wollen Sie damit sagen: Je härter es in einem Konzern zugeht, um so erfolgreicher ist er?

Ich würde meinen ja, solange die Unternehmenskultur fair und human ist. Zumindest fallen Entscheidungen schneller. Unternehmen, denen es gutgeht, haben große Mühe, etwas zu ändern - auch wenn sie durch Markt- oder Kundenanalysen genau wissen, daß dies notwendig wäre. Wie Tiere schaffen wir es oft nicht, vorausschauend zu handeln.

Woran liegt das?

Offensichtlich spielt uns das biologische Erbe einen Streich. Es gibt die extreme These, der Mensch ist nur das Vehikel, damit sich Gene fortpflanzen. Es ist nicht zu übersehen, daß gewisse Herrscher alles nur für ihre Genfortpflanzung machen und dabei vergessen, was links und rechts ist. Noch immer zählen die Attribute, die früher Voraussetzung für Kinder waren: Macht und Geld.

Wie egoistisch dürfen Manager sein, ohne dem Unternehmen zu schaden?

Prinzipiell ist es nicht schlecht, wenn ein Manager egoistisch versucht seine Meinung durchzusetzen. Er muß nur schauen, daß die aufbaut auf gewissen Erfahrungen seiner Mitarbeiter und diese entsprechend motiviert. Längerfristig führt das sonst zum Bankrott. Ein Pavian-Chef kann nicht sagen: Weil ich Egoist bin, weil ich einen internen Konkurrenten ausschalten will, suchen wir heute kein Wasserloch, anderes nützt mir mehr. Bei Affen geht das nicht. Solche Verhaltensweisen sehe ich aber bei Managern.


Da Gespräch führte Georg Meck

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.06.2005, Nr. 24 / Seite 37

Samstag, 18. Juni 2005

Blogfreiheit im Wahlkampf

Wahlkampf
Die Blogfreiheit der deutschen Politik
Von Stefan Niggemeier


18. Juni 2005 Ein paar Wochen noch, dann stehen sie wieder vor den Supermärkten, Gartencentern und Fitneßstudios in Bad Oeynhausen und Oer-Erkenschwick, drücken Wählerinnen Rosen in die Hand, Wählern Kugelschreiber und zukünftigen Wählerinnen und Wählern Lutscher. Wenn sie Glück haben, nehmen ein paar Passanten eine Wahlbroschüre und werfen sie zu Hause ungelesen weg. Abends werden sie erschöpft nach Hause kommen, die Wahlkämpfer, aber was soll man sonst machen, um mit dem Wähler zu kommunizieren, in Deutschland, im Sommer 2005.


Bei manchen von ihnen wird, während sie auf dem Kundenparkplatz einen frischen Karton Kulis auspacken, im Büro ein Mann wie Nico Lumma anrufen und nachfragen, ob der Chef sich nicht mit Beiträgen an einem Weblog beteiligen oder selbst eins führen will. Und wenn die Antwort darauf nicht lautet „Was ist ein Weblog?”, dann mit Sicherheit: „Nein, dafür hat der Herr Politiker wirklich keine Zeit, was soll er denn noch alles?”

Lieber Kulis als Dialog mit Tausenden?

Nico Lumma ist IT-Manager der Internetfirma New Media Management und nennt sich „Chief Executive Blogger” des Weblog-Portals blogg.de. Er hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß es ihm gelingen könnte, einen bekannten Politiker von jeder Partei davon zu überzeugen, daß sie etwas nicht verstanden haben, wenn sie glauben, daß es sinnvoller ist, die Zeit mit Kulis vor einem Supermarkt zu verbringen, anstatt die Möglichkeiten zu nutzen, die Blogs bieten, mit Tausenden Menschen ins Gespräch zu kommen.

Blogs? Also gut: In einem Weblog, kurz: Blog, kann jeder ohne Online-Fachkenntnisse Inhalte aller Art im Internet publizieren. Oft sind es öffentliche Tage- oder Notizbücher, die zur Kommunikation einladen: Fremde oder Bekannte kommentieren die Einträge; was interessant ist, wird von anderen Bloggern diskutiert und verlinkt. Blogs sind der Medienhype der Saison. Mehrere zehntausend dürfte es in Deutschland geben. Anders als etwa in den Vereinigten Staaten oder Frankreich, wo die Blogger inzwischen als publizistische Macht wahrgenommen werden, gibt es allerdings bislang kaum deutsche Blogs von politischer Relevanz.

Die Sabinechristianisierung nervt

Die Neuwahlen wären ein guter Anlaß, das zu ändern. „Immer mehr Leute sind genervt von der Sabinechristiansenisierung der Politik”, sagt Lumma. „Dämliches Gelaber” versteht er darunter, Diskussionen, in denen keiner auf den anderen eingehe, und „Placebo-Themen”. Eigentlich wollte Lumma Anfang nächsten Jahres damit anfangen, zu versuchen, die deutsche Weblog-Szene zu politisieren. „Fein säuberlich” vor der Wahl 2006 sollte das geschehen. Nun muß es etwas schneller gehen. Ende Mai machte er in seinem eigenen Blog einen Aufruf. Er suchte: „zehn bis zwanzig Teilnehmer, mit vielfältigen politischen Meinungen”, die darüber schreiben und streiten, wo es langgehen soll in Deutschland und welche Themen gerade zu kurz kommen, die Fakten überprüfen und Meinungen austauschen. Drei Tage später war das „Wahlblog” geboren.

Es ist ein Anfang, nicht mehr und nicht weniger. Viel „halbgares Geblogge”, wie Lumma selbst meint, aber auch viele Kommentare - was genau der Charme sei, weil es dem Ansatz des „Marktplatzes der Ideen” am nächsten komme: „Widerspruch, aber auch Zustimmung generieren, aber gemeinsam mit dem Leser die Ideen vorantreiben.” Ein paar Journalisten sollten noch mitwirken, aber die wollen meistens Geld, und ein paar Politiker, aber die muß er noch überreden. Wenn alles gutgeht, sollen Wahlblogger auch von Parteitagen und Wahlveranstaltungen berichten, live, im Internet, in der ganz eigenen, subjektiven, unverstellten, unprofessionellen Art.

Junge Politiker schreiben selbst

Lumma ist nicht der einzige, der an solchen Anfängen bastelt. „Focus Online” hat gerade damit begonnen, Prominente bloggen zu lassen, darunter vier Politiker. Geplant gewesen sei das schon vor der Ankündigung der Neuwahlen, sagt Chefredakteur Jürgen Marks, und er berichtet, es sei „erstaunlich einfach gewesen, die zu begeistern: Wir haben nicht eine Absage bekommen.” Vielleicht lag das an der Auswahl der Kandidaten: Der grüne Exot Oswald Metzger, SPD-Vorzeigefrau Andrea Nahles, FDP-Allesmitmacherin Silvana Koch-Mehrin, CDU-Übermutter Ursula von der Leyen. „Interessante Leute, die nicht das Wahlprogramm herunterbeten”, sagt Marks. Bedingung von „Focus Online” sei gewesen, daß die Teilnehmer möglichst jeden Tag etwas bloggen und daß sie es selber tun. Geld bekommen sie nicht. Auch wenn noch Coaching und die Ermutigung zu Lockerheit dazugehört - Marks ist euphorisiert von dem neuen Medium: „Müntefering hat mit seiner Ankündigung von Neuwahlen die Blogger aufgeweckt.”

Für die „Focus Online”-Leser, die sonst schlichteste Texte und halbnackte Frauen gewöhnt sind, ist es ein ziemlicher Kulturschock. Einmal hat Frau Nahles aufgeschrieben, wie sie aus einem harmlosen Grund aus dem Kanzleramt kam und in der aufgeheizten Atmosphäre in den Nachrichten gleich von einer Zufällig-aus-dem-Kanzleramt-Herauskommenden zur wichtigen Beim-Kanzler-Gewesenen wurde. Ein andermal erzählte Herr Metzger von seinen Hoffnungen, wieder aufgestellt zu werden. In beiden Fällen empörten sich Leser in den Kommentaren, was für unangenehme Selbstdarstellung das doch sei - sie haben nicht verstanden, daß diese persönlichen, weder von PR-Beraten noch von Journalisten gefilterten Geschichten den Reiz der Politiker-Tagebücher ausmachen. Natürlich kann man als Politiker auch die üblichen Versatzstücke hier noch einmal hineinkopieren. Wie Frau Koch-Mehrin, die unter dem Titel „Mein Programm heißt Freiheit” mit dem Bekenntnis überraschte: „Was wir brauchen, ist mehr Freiheit. Freiheit statt staatlicher Bevormundung. Freiheit für den Bürger, Ausbildung, Partner, Job, Versicherung zu wählen.” Und so weiter.

Blogger sein, heißt ...

Daß ein Text in einem Blog steht, macht ihn noch nicht spannend. „SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter und Grünen-Chefin Claudia Roth sprachen sich ebenfalls für einen harten, aber fairen Wahlkampf aus”, meldet „Wahlblog05”, das angeblich erste Weblog zur Bundestagswahl. Es sucht gerade per Pressemitteilung Autoren und wirbt mit dem erschütternden Satz: „Blogger sein, heißt heutzutage 'in‘ sein.” Was Blogger sein wirklich heißt, erfährt man anderswo: Auf den Seiten von Markus Schlegel zum Beispiel, einem gerade verzweifelnden WASG-Mitglied: „Welch ein unerfreulicher Tag”, schrieb er am Donnerstag. „Die PDS setzt ihren Namen durch, und es sieht so aus, als wäre da noch eine Menge mehr Ungemach, das unseres Weges ist. (...) Man darf auf den Landesparteitag in NRW gespannt sein. Daß wahrscheinlich keine Notwendigkeit besteht, die Stühle am Boden festzuschrauben, um ihren Einsatz als Wurfprojektile zu verhindern, dürfte nur an der ausgesprochen diszipliniert-müden Art von WASG-Parteitagen liegen.”

Eigentlich müßte dieser verkürzte Kampf vor einer scheinbar entschiedenen Wahl ideal sein, um politische Menschen im Netz aktiv werden zu lassen. Vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl war es nicht zuletzt das Gefühl, ohnehin nichts verlieren zu können, das ein SPD-NRW-Blog motivierte, in dem Menschen frei von Einflußnahme schreiben konnten. Hochtrabend gesagt: Wenn der Ausgang ohnehin klar ist, könnte man die nächsten Monate wenigstens nutzen, etwas für die politische Kultur zu tun, Offenheit und Ehrlichkeit demonstrieren, über Inhalte streiten. Während in Frankreich die höchst persönlichen Blogs von Politikern wie Dominique Strauss-Kahn, Sozialisten-Hoffnung und ehemaliger Finanzminister, und dem früheren Premier Alain Juppé Furore machen, haben es in Deutschland noch nicht einmal die Ehemaligen, Außenseiter und Nichts-mehr-werden-Wollenden unter den Politikern ins Netz geschafft. Anscheinend ist die Angst zu groß. Nico Lumma wünschte sich von einem Politiker, daß er mit einem Fotohandy in einem „Moblog” einen Tag in seinem Leben dokumentieren würde. Dessen Berater lehnte ab - aus Sorge, der Politiker könnte dabei nicht gut aussehen.

Latente Technikfeindlichkeit der Eliten

„Es gibt eine latente Technikfeindlichkeit der herrschenden Eliten in Deutschland”, meint Lumma. Zusammen mit der Angst vor dem Kontrollverlust und der deutschen Diskussionskultur, in der man sich am Stammtisch mit Gleichgesinnten auseinandersetzt statt mit anderen Meinungen, erkläre das, warum hierzulande die Politik so zögernd ins Netz findet.


Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.06.2005

Donnerstag, 16. Juni 2005

Yahoo durchsucht geschlossene Angebote

SPIEGEL ONLINE - 16. Juni 2005, 11:37
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,360711,00.html
Suchmaschinen

Yahoo durchsucht "geschlossene" Angebote

Was nichts kostet, taugt auch nichts, heißt es. Auch im Web sind viele der verlässlichsten, exklusivsten und besten Quellen nur gegen Zahlung oder für Passwortinhaber zu haben - und verborgen für die Suchmaschinen. Das, dachte sich Yahoo, ist doch ideal, um gegen Google zu punkten.

Nichts braucht eine Marke so sehr wie ihren "unique selling proposition", kurz "USP". Hinter dem kryptischen Kürzel verbirgt sich der "einzigartige Kaufgrund", nämlich das, was eine Ware eindeutig von der Konkurrenz unterscheidet. Konsumenten kennen solche USPs als "wäscht weißer", "schmeckt besser", "macht reicher, schöner, jünger"-Claims aus der Werbung. Wenn sich so etwas nicht finden lässt, weil eigentlich alle Produkte am Markt mehr oder minder das Gleiche bieten, erfindet die Industrie neue Elemente, esoterische Wirkmechanismen oder hanebüchene, schwer zu widerlegende Behauptungen.

Auf dem hart umkämpften Markt der Suchmaschinen funktioniert das nicht so recht. Anders als bei Waschmitteln oder angeblich irgendwie "wirkaktiven" Molkeprodukten sieht der Nutzer direkt, was die Ware taugt: Entweder, ein Suchdienst funktioniert, oder er tut es nicht. Das Vergleichsprodukt wartet nur einen Klick entfernt.

Rund fünf Jahre lang teilte sich das Feld der Suchdienstanbieter in zwei Ligen: In der ersten spielte Google, in der zweiten der Rest. Seit einigen Monaten versuchen Anbieter wie Yahoo oder MSN nun, Google nahe zu kommen und hier und da zu überbieten.

Yahoo wittert diese Chance im "Deep Web", wie die Firmen-PR stolz verkündet. Darunter versteht man die Bereiche des Internet, die von den Suchmaschinen gar nicht oder nur unzureichend durchforstet werden. Dazu gehören Datenbanken, Archive, persönliche Seiten und Dokumente, passwortgeschützte Angebote und Zahlbereiche - insgesamt soll dieser "Webraum" Schätzungen zufolge bis zu 500 Mal so groß sein, wie das von den Suchmaschinen erfasste Web.

Wer da hineingräbt, könnte sich wirklich auszeichnen: Das gilt vor allem für die Bereiche der oft zahlungspflichtigen, als sehr verlässlich, exklusiv oder erschöpfend geltenden Info-Angebote. Insgesamt soll es mehrere Hundertausend Websites unterschiedlicher Qualität geben, die von Google und Co kaum oder gar nicht erfasst werden.

Daran ändert auch Yahoo kaum etwas

Gerade einmal sieben von diesen verborgenen Seiten wird Yahoo künftig erschließen, drei weitere sollen folgen. Das hat mit einer echten Erschließung des Deep Web ungefähr so viel zu tun, wie Schnorcheln in der Badewanne mit Tiefseetauchen, dürfte aber eine sowohl gegenüber den Web-Nutzern wie auch den Info-Anbietern gut vermarktbare Dienstleistung darstellen. Und was könnte sich ein Suchmaschinenbetreiber besseres wünschen, als ein neues Geschäftsfeld, das sich gegenüber den Kunden werbewirksam als neuer USP und Kundendienst anpreisen lässt?

Und der sieht so aus: Abonnenten der "geschlossenen" Angebote (u.a. "Wall Street Journal", "Financial Times", "Forrester Research") wird Yahoo zunächst in den USA und Großbritannien die Möglichkeit bieten, die Datenbestände der abonnierten Dienste in die Recherche aufzunehmen. Die Fundstücke werden in einer herkömmlichen Ergebnisliste serviert. Zugang zu den Dokumenten erhält aber nur der, der auch über eine entsprechende Zugangsberechtigung verfügt.

Yahoo "leiht" sich also die Zugangsberechtigungen seiner Nutzer: Die dürfte daran freuen, dass sie ihre Recherchen nicht bei mehreren Anbietern wiederholen müssen, sondern von einer einzigen Schnittstelle aus erledigen können. Vergleichbar wird hier auch die Performance verschiedener kommerzieller Anbieter. Deren Motivation für die Teilnahme an "Yahoo Subscription Search" liegt zweifelsohne in der Hoffnung, neue Nutzer zugeführt zu bekommen.

Yahoo-Marketer Tim Mayer kündigt bereits an, dass es solche Services künftig noch mehr geben könne. Das alles klingt nach sehr viel Wind um sehr wenig Nutzwert, hat für Yahoo aber sicherlich einen nicht zu unterschätzenden strategischen Wert: Der Wert der Dienstleistung wird hier durch die Zielgruppe bestimmt.

Die dürfte eher klein, aber fein sein. Zu den nächsten, angedachten Deep-Web-Angeboten, die Yahoo erschließen möchte, gehört beispielsweise der Datenbankanbieter Lexis-Nexis. Der hält zahlreiche spezialisierte Datenbanken für Profis bereit. Je nachdem, wo man da nach was sucht, kostet das 75 bis 250 Dollar pro Nutzungswoche, oder 1 bis 12 Dollar pro gefundenem Dokument. Im Vergleich zu den Abo-Preisen aus Vor-Web-Zeiten sind das Schnäppchenpreise, denn alle großen Datenbankanbieter leiden unter der Konkurrenz des Webs.

Eine Erhöhung des "Traffics" durch Einbindung der Suchschnittstellen in einen Webdienst wie Yahoo dürfte da auch für die Betreiber kommerzieller Dienste höchst interessant sein. Die Bedingungen, unter denen Yahoo geschlossene Angebote in den Suchdienst mit aufnimmt, verhandelt das Unternehmen mit den Betreibern direkt.

Frank Patalong

Zusammenleben mit Robotern

SPIEGEL ONLINE - 16. Juni 2005, 09:57
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,359842,00.html
Interview mit Zukunftsforscher Steinmüller

"Wir werden mit Robotern zusammenleben"

Der Berliner Physiker Steinmüller blickt im Auftrag von Unternehmen in die Zukunft. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE prophezeit er das Verschwinden der Mittelschicht und eine Spaltung der Gesellschaft in Luxus- und Billig-Konsumenten. Im Jahr 2050 werden die Menschen mit technischen Wesen ganz selbstverständlich umgehen.

SPIEGEL ONLINE: Als Zukunftsforscher, der in diesem Jahr 55 wird, können Sie entspannt Visionen ersinnen. Ob diese tatsächlich eintreffen, werden Sie kaum noch selbst erleben.

Karlheinz Steinmüller: Typischerweise haben die Projekte, an denen wir arbeiten, einen Zeithorizont von 10, 15 Jahren. Einen ganzen Teil davon werden wir durchaus erleben. Zukunftsforscher zu sein, ist schon etwas risikoreich, weil man von Auftraggebern immer wieder nach Referenzen gefragt wird. Wir werben aber nicht damit, dass wir 1992 mal eine gute Prognose gemacht haben.

SPIEGEL ONLINE: Wann ist Ihnen denn eine gute Prognose geglückt?

Steinmüller: Prognosen machen wir ganz selten. Wir haben da eher den Spruch von Mark Twain verinnerlicht: 'Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.' Die Zukunft ist für uns ein Möglichkeitsraum. Das heißt, es gibt nicht die eine Prognose. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die man nach ihrer Wahrscheinlichkeit gewichten kann. Wir würden uns nie anmaßen zu sagen, die Zukunft wird genau so sein. Das Ziel der Zukunftsforschung ist, heute bessere Entscheidungen zu treffen.

SPIEGEL ONLINE: Was sehen sie denn als den wichtigsten Trend der nächsten zehn Jahre?

Steinmüller: Es gibt nicht den einen wichtigsten Trend. Wir haben eine Trenddatenbank aufgebaut, da sind 240 Trends aufgelistet. Davon sind einige zentral. Für uns in Deutschland ist die altbekannte Unterjüngung nach wie vor der wichtigste Trend. Der schlägt durch bis auf den Arbeitsmarkt, dessen Probleme sich zu einem großen Teil mit der demographischen Entwicklung erklären lassen. Und dann natürlich die stärkere Interaktion zwischen den Weltregionen - unsere Bezeichnung für den politischen Kampfbegriff Globalisierung. Die geistigen Austauschprozesse verlaufen schneller. Für uns interessant dabei: Innovationen kommen plötzlich nicht mehr nur aus Japan, den USA und den Tigerstaaten. Für Umweltinnovationen muss man vielleicht künftig in den Nahen Osten schauen.

SPIEGEL ONLINE: Stichwort Globalisierung. Europa und Asien sind ja heute geteilt in Japan und das relativ wohlhabende Westeuropa sowie aufstrebende Billiglohnländer. Wie wird sich diese Konstellation verändern?

Steinmüller: Wir haben ja einen erfreulichen Aufstieg von ehemaligen Billiglohnländern zu fortschrittlichen Industriestaaten in Südostasien erlebt. Man sieht, dass auch andere diese Chancen bekommen. China und Indien sind die Schwergewichte dabei. Es scheint so zu sein, dass sich eine Art globale Mittelschicht herausbildet mit guter Bildung und vergleichsweise hohem Einkommen, die Träger von Demokratisierungsprozessen werden kann - durchaus hoffnungsvolle Aussichten. Bei uns gerät die Mittelschicht dagegen stark unter Druck. Es zeichnet sich eine Spaltung in Luxus und Billig beim Konsumverhalten und in sozial schlechter Ausgestattete und Besserverdienende ab.

SPIEGEL ONLINE: In den sechziger Jahren wurden in Büchern verrückte Visionen über das Jahr 2000 verbreitet. Warum entwirft heute kaum noch jemand Bilder der Welt im Jahr 2050?

Steinmüller: Der seriösere Teil der Zukunftsforschung schreckt etwas vor so langen Zeiträumen zurück. Da weiß man, dass man nur spekulieren kann. Man kann einige wenige Dinge extrapolieren, etwa die Bevölkerungsentwicklung. Bei der Technologieentwicklung geht das nicht mehr. Wir haben den naiven Prognoseglauben aus den sechziger, siebziger Jahren verloren, nachdem sich sehr viele Prognosen als falsch erwiesen haben. Wir sind zwar zum Mond geflogen, auf die Mondstation warten wir aber bis heute, ebenso auf die kontrollierte Kernfusion. Aber es ist erstaunlich, wie viele überzogene Zukunftsvisionen auch heute verbreitet sind. Ich denke nur an den ominösen Nano-Roboter, der durch unser Blut schwimmt und den Kalk von den Arterien klopft. Der ist völlig unrealistisch - er ist die Mondstation von heute.

SPIEGEL ONLINE: Welche in Zukunft wichtigen Technologien werden nach Ihrer Meinung heute unterschätzt?

Steinmüller: In der gesamten Breite der Nanotechnologie steckt schon eine Menge Musik drin, und zwar in Kombination mit Biotechnologie. Was von der Öffentlichkeit nicht hinreichend wahrgenommen wird das sind die Entwicklungen der sogenannten Cognitive Sciences, der Hirnforschung. Da hat sich in den letzten zehn Jahren, der Dekade des Gehirns, sehr viel getan. Wir verstehen nicht nur besser, wie sich neurodegenerative Krankheiten herausbilden und was man dagegen tun kann. Wir verstehen auch Lernprozesse besser. Und vielleicht gehen davon ja auch Impulse in die Pädagogik aus. Wir lernen, das Denken zu verstehen - das ist eine ganz spannende Sache.

SPIEGEL ONLINE: Wird es künstliche Intelligenz tatsächlich geben?

Steinmüller: Wir leben ja in einer Welt, in der alle möglichen Dinge intelligent genannt werden.

SPIEGEL ONLINE: Die in Wirklichkeit dumm sind.

Steinmüller: Ja, ja. Aber künstliche Dummheit ist genauso schwierig zu erzeugen wie künstliche Intelligenz. Es sind zwei Aspekte: Zum einen glaube ich nicht, dass wir auf absehbare Zeit, schon gar nicht bis 2050, so etwas wie ein maschinelles Bewusstsein hinbekommen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in dieser Zeit technische Wesen, entweder nur aus Software, also Avatare, oder vielleicht auch Roboter als Agenten wahrnehmen, also als handelnde Systeme, mit denen wir auf quasi menschliche Weise kommunizieren und vielleicht sogar zusammenleben. Das heißt, wir werden neben den Tieren technische Wesen bekommen, mit denen wir ganz selbstverständlich umgehen. Das wird unsere Gesellschaft wahnsinnig verändern. Wir übertragen ja heute schon eine Menge Emotionen auf Haustiere und technische Geräte. Wir projizieren in diese so eine Art Seelenleben hinein. Wenn technische Wesen hinreichend komplexe Reaktionsmuster entfalten, dann ist der Drang noch sehr viel stärker, da so etwas hineinzusehen. Möglicherweise werden wir also mit Dingen, die nicht bewusst sind, umgehen, als wären sie bewusst.

Das Interview führte Holger Dambeck

Mittwoch, 1. Juni 2005

Paris - Bielefeld

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Dienstag, 31. Mai 2005

Deutsche kaufen online ein

Artikel URL: http://de.news.yahoo.com/050531/12/4k9rw.html


Dienstag 31. Mai 2005, 04:48 Uhr
Computer & Cyberspace Hamburger und Nürnberger kaufen am meisten im Internet ein
Frankfurt/Main (AP) Die Hamburger und Nürnberger liegen beim Online-Shopping in Deutschland auf Platz eins und zwei. Danach folgen die Bewohner der Postleitzahlbezirke 14 (Berlin/Potsdam), 22 (Hamburger Umland) und 63 (Offenbach mit Umland). Dies ist das Ergebnis einer Auswertung von 20 Millionen Internet-Bestellungen, die im vergangenen Jahr über die Firma Pago eTransaction Services GmbH abgewickelt wurden.

Noch nicht einmal jede siebte Bestellung von Waren und Dienstleistungen im Internet kommt aus Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen. Der Anteil der ostdeutschen Online-Shopper sank im vergangenen Jahr von 22 auf 13,5 Prozent - bei einem ostdeutschen Bevölkerungsanteil von 16,4 Prozent. «Dieser Rückgang entspricht recht genau dem Verlust an Kaufkraft in den neuen Bundesländern», heißt es im Pago-Report 2005.

Der durchschnittliche Wert des Warenkorbs bei einer Internet-Bestellung blieb in Deutschland mit 54,54 Euro (2003: 54,89 Euro) weitgehend unverändert. Nach Regionen unterschieden lagen auch hier die Bewohner Nordwestdeutschlands an der Spitze: Bestellungen aus Orten, deren Postleitzahl mit einer 2 anfängt, hatten einen Warenwert von durchschnittlich 122,90 Euro. Ihrem Ruf als sparsame Schwaben wurden die Bewohner der Region zwischen Heilbronn und dem Bodensee gerecht - in den Orten mit einer 7er Postleitzahl erreichte der durchschnittliche Warenwert lediglich 27,43 Euro. Die Pago-Analytiker merken allerdings an, dass in diesen Wert übermäßig viele Transaktionen der Telekommunikationsbranche mit besonders niedrigen Beträgen eingingen.

Bei der Art der Zahlungsmittel habe es die Kreditkarte in Deutschland weiter schwer, sagte Pago-Geschäftsführer Rüdiger Trautmann im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. Sie kommt nur bei 28,7 Prozent aller Bestellungen von deutschen Online-Shoppern zum Einsatz, nachdem es 2003 noch fast 35 Prozent waren. Trotz des höheren Risikos für den Händler wickeln nahezu 64 Prozent der deutschen Online-Shopper ihre Bestellungen über das elektronische Lastschriftverfahren ab. Dabei seien Bestellungen mit einer Lastschrift ohne Deckung auf dem Konto die häufigste Betrugsform beim Online-Einkauf, erklärte Trautmann. «Der Anreiz, sich irgendetwas umsonst zu besorgen, ist sehr hoch.»

Hingegen ist die Kreditkarte in Großbritannien fast das alleinige Zahlungsmittel. Dort verdoppelte sich der Wert je Online-Bestellung im vergangenen Jahr auf 114,38 Euro. Dabei bestellen die deutschen Internet-Nutzer zu rund 96 Prozent nur bei Online-Shops im eigenen Land, während die britischen Online-Shops auch viele internationale Käufer anlocken. Die Angebote deutscher Online-Shops seien für Internet-Nutzer im Ausland nicht attraktiv genug, heißt es in der Studie.

Freitag, 20. Mai 2005

Das Google-Buch

Google
Leben mit der Suchmaschine
Von Eberhard Rathgeb


20. Mai 2005 Das Wort „googeln” steht schon im Duden. Die Wendung „Ich google dir eine” im bekannten Sinne von „Ich semmel' dir eine” ist nicht geläufig. Googeln ist damit erst einmal eine ganz friedliche Handlung - so, wie „im Katalog nachschlagen” ja auch nicht in der Bedeutung von „im Katalog nachsemmeln” auftritt.


Früher, als der lernende Mensch noch vor den Bücherbergen saß und sich auf dem Weg in die ferne Gelehrsamkeit durch diese Massen hindurchlesen mußte, konnte es einem Adepten auf den gut gefüllten und sortierten Kopf passieren, daß er beim Eintritt in eine Klosterbibliothek, die mit alten und meistens in den weitgehend vergessenen Sprachen Latein oder Griechisch geschriebenen Büchern bis an die hohen Decken vollgestopft war, mit den hingehauchten Worten in Ohnmacht fiel: Nicht zu schaffen, das schaffe ich beim besten Willen nicht.

Mediale Menschenfreundlichkeit

Vor Google aber ist noch kein Benutzer, soweit aus der Google-Welt zu erfahren war, in dem bedrückenden, ja vernichtenden Gefühl zusammengebrochen, seine Lebenszeit werde nicht ausreichen, alle Einträge anzuklicken. Das spricht für Google. Das deutet auf eine neue mediale Menschenfreundlichkeit hin. Abgesehen davon, daß googeln in den meisten Fällen wesentlich bequemer ist, als in Katalogen oder dicken Wälzern nachzuschlagen. Das angesammelte Wissen haut heute einen Googler nicht um. Er schaut in die Masse des Wissens, die Google ihm eröffnet, und - klickt.

Google ging im Herbst des letzten Jahres an die Börse. Google beschäftigt dreitausend Mitarbeiter. Google verfügt über einhunderttausend Server. Der Anteil von Google auf dem amerikanischen Markt liegt bei achtundvierzig Prozent, in Deutschland liegt er bei achtzig Prozent. Google ist nicht Gott, sondern eine Suchmaschine. Google ist kein traditionelles Medienunternehmen. Keiner käme heute auf den Gedanken, auf die Straße zu gehen und lauthals zu fordern: Enteignet Google, so, wie vor rund vierzig Jahren junge kritische Gemüter auf die Straße gingen und lauthals „Enteignet Springer” forderten.

Die Linken heute sind anders

Damals wurde mir nichts, dir nichts ein kleiner Strukturwandel der Öffentlichkeit inszeniert und eine Gegenöffentlichkeit mit Flugblättern und Broschüren, Diskussionsveranstaltungen und linken Buchläden eröffnet und am Laufen gehalten. Das alles brauchen die Linken heute nicht mehr dringend. Der antikapitalistische Geist organisiert sich im Netz, so, wie ja auch zum Beispiel der Bundeskanzler im Netz steht und um Aufmerksamkeit winkt. Die einen findet man unter www.indymedia.org, den anderen unter www.bundeskanzler.de.

Das „www” ist heute so etwas wie das Kaufhaus in den deutschen Wirtschaftswunderjahren: Hier konnte man tatsächlich alles finden, was man brauchte. An die Stelle des freundlichen und nur im geheimen sich die Hände reibenden Verkäufers, der einen durch die Welt der Angebote in die gesuchte Abteilung und vor die begehrte Ware führte, ist die freundliche und sich nur im geheimen die Hände reibende Suchmaschine Google getreten.

Es gibt eben alles

Wer etwas über Google und die Welt mit Google erfahren möchte, kann bei Google nachschauen - oder in dem Buch „Die Google-Gesellschaft” herumlesen. Das Buch ist informativ und bietet Einblick in allerlei Gegenden, die manchen vielleicht nicht geläufig sind: Online-Forschung, Online-Beratung, Online-Journalismus, Foren der Gegenöffentlichkeit, Erläuterungen zum Google-Geschäft, Lernwelten und so weiter. Es gibt eben alles: Blusen, Schuhe, Handwerkerbedarf, Küchengeräte, Sportausrüstung.

Für den finanziell potenten Warenkonsumenten war die Eröffnung des Kaufhauses ein einschneidendes seelisches Erlebnis. Die Vorstellung, daß in einem großen Betonkasten alles zu haben war, rumorte in seinem Innern weiter und bereitete den nächsten Besuch vor. Den Googlern ergeht es nicht anders, ein Leben ohne Google wäre kein reiches Leben mehr, wenn Leben denn bedeutet: an der Welt teilzunehmen - indem man sich Wissen über was, wann, wo, wie, wer, womit, wohin, weshalb verschafft.

Ob wir deshalb schon gleich in einer Google-Gesellschaft leben? Erst gab es die Nachkriegsgesellschaft (Schweigen und Zukunft bauen), dann kam die Warengesellschaft (Kapitalismus ist Konsumterror), später die Risikogesellschaft (Wollen wir heiraten?), noch später kam die Erlebnisgesellschaft (Was machen wir denn heute abend?), noch viel später kam die Wissensgesellschaft (Wer nichts weiß, rückt zurück auf Los) und nun - die Google-Gesellschaft (Googler aller Länder, vergoogelt euch). Das ist uns etwas zu vollmundig.


Kai Lehmann, Michael Schetsche (Hrsg.): „Die Google-Gesellschaft”. Vom digitalen Wandel des Wissens. transcript Verlag, Bielefeld 2005. 408 S., br., 26,80 [Euro].

Text: F.A.Z., 20.05.2005, Nr. 115 / Seite 43
Bildmaterial: AP

Donnerstag, 19. Mai 2005

NRW: Web-Wahlkampf - Wer manipulierte Rüttger's Wiki-Einträge?

SPIEGEL ONLINE - 19. Mai 2005, 14:19
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,356570,00.html
Web-Wahlkampf

Wer manipuliert Rüttgers' Wiki-Einträge?

Die NRW-Wahl steht vor der Tür, es geht ums Ganze. Die Schlacht wird an allen Fronten ausgefochten. Selbst im Lexikon: Seit Tagen erfahren die Einträge der Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers und Peer Steinbrück ungewöhnlich viele Änderungen.



REUTERS
Wahlkämpfer Steinbrück, Rüttgers: Wer manipuliert ihre Wiki-Einträge?
Das Originelle am Online-Lexikon Wikipedia ist die Möglichkeit, dass ein jeder, der sich berufen glaubt und für besserwissend hält, Einträge verändern beziehungsweise erweitern kann.

Leider zieht das anscheinend nicht nur kluge Menschen, sondern auch solche mit niederen Interessen an. Der Artikel über den CDU-Spitzenmann Jürgen Rüttgers erfuhr zumindest in den letzten Tagen ungewöhnlich viele Änderungen.

Fand der geneigte Leser noch bis zur Mittagszeit des 17. Mai einen Hinweis auf die seinerzeit umstrittene "Kinder statt Inder"-Debatte, war dieser plötzlich verschwunden. Außerdem fehlte zeitgleich die Angabe der Ehrenamtlichkeit der aufgelisteten Nebentätigkeiten des NRW-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück. Schon eine Woche zuvor war aus dem Rüttgers-Eintrag vorübergehend der komplette Abschnitt über die kontroverse Katholizismus-Äußerung des Politikers verschwunden.

Das dumme dabei: Die Wikipedia-Einträge umfassen auch die Historie sämtlicher vorgenommener Veränderungen und ihrer jeweiligen Urheber. Und da erscheint in der Liste der erwähnten Streichungen eine IP-Nummer, die zum Deutschen Bundestag verweist. Ein Schelm, der Böses dabei denkt?

Waren es nun die Rüttgers-Mannen, die die Online-Vita des Kandidaten heller strahlen lassen wollten? Oder gab es die Absicht roter Kanalarbeiter, den NRW-Landeschef als Opfer finsterer Ranküne darzustellen?

Auf Seiten der NRW-SPD fällt das feurige Urteil nicht schwer: Die CDU war's! Im Weblog der Landespartei schreibt "Fabian" unbekümmert von "CDU-Zensur" und nimmt den "tapferen Unterstützer in irgendeinem Bundestagsbüro im fernen Berlin" aufs Korn.

Angesichts 600 Bundestagsabgeordneter neben Tausender von Mitarbeitern scheint die eindeutige parteibezogene Zuordnung allerdings zumindest schwierig.

Aufgeflogene Manipulation

Einmal mehr kommt damit wieder die Frage nach der Manipulierbarkeit von Informationsseiten im Internet auf. Jedoch scheint - anders als beim Wahl-o-Mat (Spiegel Online berichtete) - die korrigierende "Selbstreinigung" bei Wikipedia zu funktionieren.

Denn auch wenn jeder jeden Artikel ohne "Anmeldung, Erlaubnis oder dergleichen" (so Wikipedia) verändern kann, ist das nicht gleichbedeutend mit inhaltlicher Anarchie. Nicht nur die große Zahl der Lexikon-Autoren gewährleistet eine grundsätzliche Ausgewogenheit. Auch die Administratoren wirken im Falle extremer Ausreißer mäßigend ein.

Strittige Artikel werden eigens in einer "Baustellen"-Abteilung aufgelistet und den Wikipedianern zur schnellen Verbesserung ans Herz gelegt. Überdies weist auch jeder Eintrag eine eigene Kategorie "Diskussion" auf, in der teilweise heftig über Gründe und Berechtigung von Änderungen debattiert wird.

In der Diskussion zum Rüttgers-Eintrag führen die Vorgänge zu grundsätzlichen Erwägungen. So fragt "NB", ob nicht in Wahlkampfzeiten "zur Vermeidung jeglicher Manipulation ... die Artikel der jeweiligen Politiker/Parteien grundsätzlich (zu) sperren" wären. "BerlinJurist" wiederum geht das zu weit, er plädiert dafür, auf solche Artikel ein besonderes Auge zu haben.

Also wird die Wiki-Gemeinde die betreffenden Artikel in den Tagen hüten müssen. Wer nun in NRW wem mit derlei dilettantischen Schönfärbereien dienlich sein wollte, bleibt letztlich ein Rätsel.

Richard Meusers

Microsoft kupfert bei Opera & Firefox ab

SPIEGEL ONLINE - 19. Mai 2005, 08:19
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,356425,00.html
Tabbed Browsing

Microsoft kupfert bei Opera & Firefox ab

Der neue Internet Explorer wird auch das Browsen mit Tabs unterstützen. Es sei ein Fehler gewesen, die Technik nicht schon früher eingeführt zu haben, gestand der zuständige Microsoft-Manager. Opera und Firefox besitzen Tabs schon seit längerem.



Tabbed Browsing mit Mozilla: Ein Fenster, viele Webseiten
Für Jürgen Gallmann, Deutschlandchef von Microsoft, gibt es in Sachen Browser nichts Besseres als den Internet Explorer. Die Open-Source-Alternative Firefox begeistere ihn nicht, sagte er in einem Interview mit SPIEGEL ONLINE. Die Programmierer bei Microsoft scheinen hingegen Gefallen an dem Gratisbrowser gefunden zu haben. Zumindest wollen sie die Funktion des Tabbed Browsing in den neuen Explorer übernehmen und so das gleichzeitige Öffnen mehrerer Webseiten in einem Browserfenster erlauben. Bislang beherrschen nur Alternativbrowser die Tab-Technik - neben Firefox auch dessen Vorgänger Mozilla sowie Opera, Safari für Mac OS und Konqueror für Linux.

"Generell gesehen, halte ich Tabs für eine großartige Idee", schreibt Dean Hachamovitch in seinem Blog. Hachamovitch arbeitet bei Microsoft als Produktmanager für den Internet Explorer (MSIE). Die Version 7 des MSIE werde über eine Tab-Funktion verfügen, kündigte er an. Bislang kann das Tabbed Browsing nur über Plugins von Drittanbietern im MSIE nachgerüstet werden.

Erstaunlich offen gibt Hachamovitch in der Vergangenheit gemachte Strategiefehler zu. "Einige Leute haben uns gefragt, warum wir Tabs nicht schon viel früher eingeführt haben." Es habe Bedenken wegen der Komplexität der Funktion gegeben. Bei Microsoft befürchtete man, die User mehr durcheinander zu bringen als ihnen zu helfen, schreibt Hachamovitch. Tabs seien in der Windows-Welt sonst nicht zu finden, abgesehen von Excel. "Ich denke, wir haben damals eine falsche Entscheidung getroffen." Jetzt wolle man dies gerade rücken.

Hachamovitch bekannte sich als echter Fan von Tabs. In den neunziger Jahren, als er selbst noch in der Office-Entwicklung arbeitete, habe man sogar kurzzeitig erwogen, Word mit einer Tab-Funktion auszustatten. Doch der Plan wurde nicht umgesetzt. Nur Excel verfügt über die von Hängeregistern abgeschaute Technik, mit der man schnell zwischen den einzelnen Arbeitsblättern einer Mappe hin- und herspringen kann.

Tatsächlich wäre eine Tab-Funktion für Word eine praktische Sache. Ähnlich wie Browserfenster haben auch geöffnete Word-Dateien die Unart, den Desktop bis zur Unkenntlichkeit zuzupflastern. Wer regelmäßig vier, fünf oder mehr Texte parallel bearbeitet, könnte mehr Übersicht dringend gebrauchen.

Gute Idee: Tabs für Word

Tabbed Browsing hat jedoch nicht nur Vorteile. Schon mehrfach sind Sicherheitslücken aufgetaucht, die entweder nur Firefox und Mozilla oder sogar Tabbed Browsing generell betrafen. So konnte der Security Manager der Mozilla-Engine durch das Ziehen eines Javascript-Links auf ein Tab umgangen werden - der Fehler wurde schnell korrigiert.

Dass Microsoft den MSIE schnellstmöglich sicherer machen und benutzerfreundlicher gestalten muss, liegt auf der Hand. Der Marktanteil des Explorers ist in den vergangenen Monaten stetig gesunken, bei SPIEGEL ONLINE liegt MSIE aktuell bei nur noch 63 Prozent. Firefox hat inzwischen 30 Prozent erreicht. Opera kommt im aktuellen Ranking auf knapp drei Prozent. Der tatsächliche Anteil von Opera dürfte noch etwas größer sein, denn der Browser gibt sich vorzugsweise als Internet Explorer aus, tarnt sich aber auch als Browser anderer Marken.

Vor allem der überraschende Erfolg von Firefox dürfte Microsoft dazu bewogen haben, das Erscheinen von MSIE7 vorzuziehen. Ursprünglich sollte der neue Browser als Teil von Longhorn auf den Markt kommen, dem Windows-XP-Nachfolger. Longhorn soll 2006 fertig sein. Doch nun wird MSIE7 noch in diesem Jahr herausgebracht - allerdings ausschließlich für Windows XP.

Holger Dambeck

Sonntag, 15. Mai 2005

Konkurrenz für GPS

SPIEGEL ONLINE - 15. Mai 2005, 14:57
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,355753,00.html
Konkurrenz für GPS

Ortungssystem basiert auf Fernsehsignalen

Eine amerikanische Hightech-Firma entwickelt ein Ortungssystem, das völlig ohne Satelliten auskommt. Die Konkurrenz für das Global Positioning System basiert auf dem Abgleich von Fernsehsignalen - denn die dringen, anders als GPS, auch durch Betonwände. Einer der Investoren ist die CIA.



www.rosum.com
Kein verspäteter Aprilscherz: Der Fernseher als GPS-Ersatz
Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Perfekt sind die Möglichkeiten zur Überwachung von Menschen bislang nicht. Zwar erlauben Mobiltelefone und das Satelliten-Navigationssystem GPS es, Menschen zu orten, die entsprechende Geräte bei sich tragen. Die Ortung per Handy aber ist ungenau, und GPS funktioniert nur, wenn nach oben relativ freie Sicht herrscht: In dichten Wäldern, in Hochhausschluchten oder gar innerhalb von Gebäuden ist man für GPS unsichtbar.

Diesem Mangel will ein US-Unternehmen namens Rosum nun abhelfen - und sich dabei des guten alten Fernsehens bedienen. Fernsehsignale haben zwei entscheidende Vorteile: Es gibt sie fast überall - zumindest an Orten, an denen auch Menschen leben - und sie dringen auch durch dicke Betonwände. Das Ortungssystem, an dem Rosum im Augenblick arbeitet, macht sich diese Vorteile zunutze: Statt per Satellit sollen Menschen mit geeigneten Empfängern nun aufgrund ihrer Entfernung vom nächsten Fernsehsender geortet werden können.

"Im GPS-System gibt es immense schwarze Löcher, und wir können diese Lücke füllen", sagte John Metzler von Rosum gegenüber dem Branchen-Informationsdienst Siliconvalley.com.

Ein Merkmal des TV-Signals wird zur Ortung benutzt

Das System nutzt ein bestimmtes Merkmal, das analoge und digitale Fernsehsignale haben - es dient eigentlich dazu, bei älteren Fernsehgeräten dafür zu sorgen, dass das Bild nicht flackert. Bei Rosum hat man einen Funkempfänger gebaut, der diese Synchronisations-Information erfassen und daraus errechnen, kann, wie weit der Empfänger vom Sender entfernt ist. Diese Daten werden anschließend mit anderen abgeglichen, die von eigens installierten "Monitor-Einheiten" ermittelt werden.

Aus der Kombination der Signale kann die Position des Funkempfängers errechnet werden. Die Kommunikation zwischen dem dazu notwendigen Server und dem Empfänger soll über SMS und den Mobilfunkstandard GPRS ablaufen - was nach aktuellem Stand der Technik die Einsatzmöglichkeiten doch wieder einschränken würde, denn auch Handy-Empfang gibt es nicht überall.

Bislang sind die Empfänger-Module etwa so groß wie Streichholzschachteln, sie sollen aber noch schrumpfen, und der Herstellungspreis von etwa 40 Dollar pro Stück könne bei Massenproduktion gesenkt werden, so Rosum gegenüber Siliconvalley.com. Das Hauptproblem bei der Konstruktion dieser Geräte ist offenbar, dass Störsignale, beispielsweise Reflexionen von anderen Objekten, ausgefiltert werden müssen.

"Ein Schritt Richtung Überwachungsgesellschaft"

Nicht alle sind von der Entwicklung begeistert. Kurt Opsahl von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation etwa kommentierte: "Das ist ein weiterer Schritt in die Richtung einer Überwachungsgesellschaft."

Sollte sich das System als funktionsfähig erweisen, ist es ein heißer Kandidat für eine Aufgabe, die Präsident Bush im Dezember persönlich formulierte: Ein im Notfall verfügbarer Ersatz für das GPS-System, von dem auch das US-Militär und die Geheimdienste kräftig Gebrauch machen, soll gefunden werden. Bei Rosum hofft man, die eigene Technologie komme dafür in Frage.

Die Chancen dafür stehen vermutlich gut. Denn wer besonderes Interesse an den Entwicklungen von Rosum hat, lässt sich auch an der Liste derer ablesen, die in das neue System investiert haben. Dazu gehört neben den Wagniskapital-Abteilungen verschiedener Unternehmen auch In-Q-Tel - die Hightech-Investitionsabteilung der CIA.

Samstag, 14. Mai 2005

MP3.com und andere

SPIEGEL ONLINE - 14. Mai 2005, 10:24
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,355733,00.html
MP3s im Netz

Hier spielt die Musik

Von Frank Patalong

Das MP3-Format ist nicht nur eine Bedrohung für die Musikindustrie, es eröffnete auch neue Möglichkeiten. MP3-Dateien machten es für Bands und Musiker möglich, über das Web neue Hörer zu gewinnen. Den Anfang machte 1997 die legendäre Website MP3.com. Auf ihren Spuren wandeln zahlreiche Erben.



DPA
Karlheinz Brandenburg: Von der Musikbranche gehassliebter Innovator
Es war eine Revolution mit Anlauf und Husten. Sie kam weit weniger schnell und plötzlich, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Eigentlich lag die grundlegende Technik für MP3- und P2P-Seiten längst bereit, bevor noch Tim Berners-Lee und seine Partner das WWW-Protokoll für die Öffentlichkeit freigaben. Dass die WWW-Zeit nicht sofort mit der "MP3-Revolution" einherging, lag vor allem an mangelnden Bandbreiten. Kaum zu glauben, aber vor etwas mehr als zehn Jahren fiepte man vornehmlich mit 9600-Baud-Modems durchs Web: Selbst die heute als lahm empfundenen 56k-Modems sind da gut sechsmal schneller.

Nachdem Karlheinz Brandenburg, Harald Popp, Bernhard Grill und ihre Mitarbeiter am heutigen Fraunhofer-Institut für digitale Medientechnik IMDT bereits Ende der Achtziger das MP3-Format definierten, fanden sich sehr schnell Enthusiasten, die darin einen Weg erkannten, Musik über neue Vertriebswege zu verbreiten. Erste - wenn auch wenige - MP3-Seiten entstanden dann auch parallel zum Aufkommen des WWW Mitte der Neunziger Jahre.

Fast umgehend erkannte die Musikindustrie darin eine potenzielle Gefahr für ihr Geschäft. Das brummte gerade kräftiger als je zuvor: Die endgültige Durchsetzung der CD versetzte die Branche in einen wahren Profitrausch, als Musikliebhaber in die Läden strömten, um sich all den alten Käse, den sie als Schallplatten bereits im Schrank stehen hatten, noch einmal zu kaufen. Das stark komprimierte MP3-Format kam da ganz und gar nicht gelegen, machte es doch sogar die Weitergabe von Songs über dürre Telefonleitungen denkbar.

Angst vor der eigenen Courage

Zaghafte Versuche findiger Köpfe innerhalb der Musikindustrie scheiterten an brancheninternen Ängsten und Widerständen. So war die Kölner Filiale des EMI-Konzerns bereits Mitte der Neunziger maßgeblich an der Entwicklung eines Brenn-Kiosk-Systems beteiligt, das von der Konzernzentrale in England letztlich abgeschmettert wurde. Bis zu 5000 Titel, hatten sich die Entwickler vorgestellt, könne man in Brenn-Kiosken an Tankstellen und anderen Orten bereithalten, um dort individuell zusammengestellte CDs brennen zu können. Parallel arbeiteten die Kölner an einem Download-Vertriebssystem, das ebenfalls ausgebremst wurde. Erst fast ein Jahrzehnt später fasste die Industrie den Mut, mit solchen Ideen Ernst zu machen.

Da waren die Musikenthusiasten und net-affinen Tech-Tüftler "außerhalb" der Branche deutlich weiter. Als Michael Robertson 1997 die bereits seit längerem registrierte Domain MP3.com kaufte, ging die Zahl der FTP- und WWW-Seiten, über die MP3-Dateien vertrieben wurden, bereits in die Hunderte. Noch war das nicht sonderlich relevant, denn "Surfer" durften noch als demographische Minderheit gelten, die Suchmöglichkeiten im Web waren vergleichsweise bescheiden, die Log-in-Zahlen von Webseiten mikroskopisch.



AP
Michael Robertson auf einer Pressekonferenz 1999: Nach dreieinhalb Jahren Prozessen verkaufte er MP3.com
Doch das sollte sich schnell ändern. Die Surferzahlen stiegen, der sich ankündigende Dotcom-Boom wie auch die diversen Abwehrreflexe der "Brick and Mortar"-Industrie, die eben mit stofflichen Waren handelte statt mit "Bits and Bytes", sorgten dafür, dass Berichte über das Internet aus den Exotenecken der Medien langsam in den Hauptstrom der Berichterstattung einflossen.

So gab es eine ganze Reihe von Gründen, warum MP3.com nach seiner Gründung als Firma im November 1997 schnell zur weltweit beliebtesten Musik-Webseite aufsteigen konnte.

Zum einen war da das Angebot: Sofort ab Start bot MP3.com mehr als 3000 kostenlose Songs. Fast noch wichtiger aber war die Tatsache, dass sich Branchenanwälte mit Aggressivität und teils amerikanisch überzogenen Schadensersatzforderungen auf die keimende MP3-Szene stürzten. So rief etwa Labelchef David Geffen (damals Geffen Records, Dreamworks) bereits Ende 1997 zur MP3-Hatz. Bis zum Frühjahr 1998 ließen seine Anwälte rund 250 Webseiten schließen und rasierten zeitweilig den zumindest in Teilen illegalen Markt.

Robertson kamen sie zunächst nicht bei, doch die Gerichtsprozesse halfen, die verklagten "Helden" der MP3-Szene zu Robin Hoods einer neuen Zeit zu stilisieren. "MP3.com" wurde für kurze Zeit zum Synonym des Widerstandes gegen eine übermäßig gierig erscheinende Industrie. Anders als die später auftretenden P2P-Börsen konnte MP3.com schließlich mit Leichtigkeit dokumentieren, dass es im Kern ein um Legalität bemühtes Angebot darstellte.

Robertsons Geschäftsmodell setzte nicht primär auf die Weiterverteilung von copyrightgeschützter Musik, wie Shawn Fanning dies im Jahr darauf mit Napster versuchte, sondern auf junge, unbekannte Bands. Zumindest die redaktionell kontrollierten Teile des MP3.com-Angebotes waren weitgehend ohne Makel.

Die Verheißung von MP3.com: Web statt Plattenvertrag?



AFP
Shawn Fanning: Der Napster-Gründer und P2P-Pionier beerbte Robertson als Symbolfigur der MP3-Szene
Der Traum von MP3.com klang aber auch zu gut: Die Webseite sollte zur Plattform für jedermann werden, zum Musikmarkt abseits der Vertriebskanäle der Industrie, und Musikern Chancen bieten, weltweit und ohne großen Aufwand bekannt zu werden - mit oder ohne Plattenvertrag.

Die Firma ging am Ende trotzdem zugrunde: Von Plattenfirmen und ehemaligen Stars auf Millionen Dollar Schadenersatz verklagt ging allein Robertson am Ende als Sieger vom Schlachtfeld, als Vivendi seine Firma im Mai 2001 für stolze 372 Millionen Dollar kaufte. Im Spätherbst 2003 stieß der französische Konzern die Marke wieder ab, die Archive wurden für Monate auf Eis gelegt. Große Teile des Angebotes sind heute über Garageband.com abrufbar - eine der umfangreichsten Quellen für "Independent Music". MP3.com ist heute - abgesehen von einem kleinen Angebot kostenloser Teaser-Downloads - vor allem eine Promotionplattform für "professionelle" Musik.

Die ursprüngliche Idee aber wirkt bis heute fort - und wird längst auch von der Musikindustrie selbst genutzt. Kaum eine Band, kaum eine Plattenfirma, die nicht Teile ihres "Contents" verschenkte - als kraftvolle Werbemaßnahme für Musik, die im Einheitsgedudel des Formatradios sonst vielleicht nie zum Zuge käme.

Wer also Abwechslung sucht vom "Mainstream" des Radios, das uns in Dauerschleife die "Hits der 80er, 90er und von heute" um die Ohren haut, ist im Web bestens aufgehoben (siehe Linkverzeichnis). Wer will, der brennt sich die ganz offiziell freigegebenen Stücke und entdeckt eine Vielfalt an Musik, die heute an großen Teilen des Publikums vorbeigeht. Neben Musikdownloads von zahlreichen kleinen, noch unbekannten Bands bietet das Web dabei auch die Möglichkeit, Gruppen zu entdecken, die den Sprung nach Europa einfach nie geschafft haben.

Musik in der Netzwelt: Profis und Nachwuchstalente - 21 kostenlose, ganz legale Musikdownloads

Wir stöberten einmal in Web und suchten Links zu 21 ungewöhnlichen Songs kreuz und quer durch alle Genres heraus. Alle Songs sind Volldownloads, die man am Rechner hören, auf einen MP3-Player übertragen oder brennen kann.


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Zum Thema:

Zum Thema in SPIEGEL ONLINE: · World Wide Music: 21 kostenlose, ganz legale Downloads (13.05.2005)
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,355774,00.html



Zum Thema im Internet: · Legale kostenfreie Downloads: Tonspion.de
http://www.tonspion.de
· Legale kostenfreie Downloads: Epitonic
http://www.epitonic.com/downloads.html
· Legale kostenfreie Downloads: Garageband
http://www.garageband.com
· Legale kostenfreie Downloads: Purevolume
http://www.purevolume.com/
· Legale kostenfreie Downloads: Cityslang
http://www.cityslang.com
· Legale kostenfreie Downloads: Linkliste Musikblogs
http://wiki.monkeyfilter.com/index.php?title=MP3_Blog_Listing#World
· Legale kostenfreie Downloads: MP3.de
http://www.mp3.de/
· Legale kostenfreie Downloads: Downloadmusik.de
http://www.downloadmusik.de/

Dienstag, 10. Mai 2005

"Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs"

DER SPIEGEL 19/2005 - 09. Mai 2005
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,354979,00.html
Kultur

"Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs"

Der Sprachforscher Uwe Pörksen über Franz Münteferings Tiervergleich und den gefährlichen Umgang mit Metaphern


Albert Josef Schmidt
Sprachforscher Pörksen: "Ein Wort kommt nicht aus heiterem Himmel"
Kein Geringerer als der Philosoph Aristoteles bemerkte in seiner "Poetik": "Weitaus am wichtigsten aber ist die richtige Verwendung von Metaphern. Dies allein kann man von keinem anderen lernen, es ist ein Zeichen natürlicher Begabung; denn gute Metaphern erfinden heißt einen guten Blick für Ähnlichkeiten haben."

Hat der SPD-Vorsitzende diesen Blick? Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen Heuschreckenschwärmen und dem expandierenden Kapital, genauer: einer bestimmten Gruppe von Kapitalinvestoren, noch spezieller: einer begrenzten Liste von Private-Equity-Gesellschaften, welche die Länder wechseln und in wacklige Unternehmen investieren, um sie aufzumöbeln oder zu zerschlagen und in kurzer Zeit sehr viel Geld zu machen? Die Überschrift in "Bild am Sonntag" vom 17. April - "Manche Finanzinvestoren fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her" - ist in den vergangenen Wochen zu einer Wolke angewachsen, hinter der die Sonne der Aufklärung mehr und mehr verschwindet. Was wurde verglichen, und was ist der Vergleichspunkt, das gemeinsame Dritte zwischen diesem Typus von Investoren und jenem landlebenden Wanderinsekt mit den kauenden Mundwerkzeugen?

Sehr geehrter Herr Müntefering, Sie sind bekannt für Ihre kurzen und klaren Sätze. Sie sprechen anschaulich, Ihr wichtigster Bildspender ist das Fußballfeld. "Eine Partei braucht zwei Flügel, einen rechten und einen linken, aber die Tore werden in der Mitte geschossen", sagen Sie, oder: "Wer nur in der eigenen Hälfte spielt, kann nicht gewinnen." Jetzt haben Sie sich weit in die gegnerische Hälfte vorgewagt, in vollem Bewusstsein, welches Verteidigungs- und Angriffspotential Sie da vor sich haben, und mit unvorstellbarem Echo. Ich weiß nicht, mit wem Sie Ihre Formulierungen diskutieren und wer für Sie schreibt. Gab es keinen, der Sie davor gewarnt hat, es mit einem Tiervergleich zu versuchen?


Uwe Pörksen, 70, Professor für Deutsche Sprache und Ältere Literatur, lebt in Freiburg im Breisgau. Er veröffentlichte zuletzt die Bücher "Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede" (Verlag Klett-Cotta, 2002) und "Was ist eine gute Regierungserklärung? Grundriss einer politischen Poetik" (Wallstein Verlag, 2004)
Tiervergleiche können harmlos sein, "Spatz" und "Maus" sind Kosenamen, Löwen und Adler waren Herrschaftszeichen der Kaiser und Könige, und wenn seinerzeit ein Konrad Adenauer als "alter Fuchs" erschien, drückte sich darin humoristischer Respekt aus. Aber die Bundesrepublik hat auch ihr trübes Metaphernkapitel. Interessanterweise waren es in den sechziger und siebziger Jahren (und noch bis in die achtziger) vor allem die Intellektuellen, Schriftsteller, protestierende Studenten, die von führenden Politikern als "kleine Pinscher", "Ratten und Schmeißfliegen" tituliert wurden, einmal sogar als "Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich" sei. Oder es hieß krachledern und pompös: "Was wir hier in diesem Land brauchen, sind mutige Bürger, die die roten Ratten dorthin jagen, wo sie hingehören - in ihre Löcher."

Natürlich stand damit fest, dass die Angreiferseite faschistischen Geistes sei. Es war ein elendes, eingespieltes Spiel und vor allem insofern betrachtenswert, als das Gegenüber erstarrter Bilder von der Sache ablenkte, die zu verhandeln gewesen wäre.

Man berief sich dabei gern auf das "Wörterbuch des Unmenschen", das wie eine Art Nazi-Detektor verwendet wurde. Im Ursprung war dies eine Essay-Sammlung von Sternberger, Storz, Süskind über Wörter wie "Menschenbehandlung", "intellektuell", "organisieren", "Betreuung", die in der NS-Zeit eine gefährliche Bedeutung erhalten und das öffentliche Denken vergiftet hatten.



AP
SPD-Vorsitzender Müntefering: Weit in die gegnerische Hälfte vorgewagt
Wenn jemand ein Wort verwendete, das nach dem "Wörterbuch des Unmenschen" aussah oder in der NS-Zeit tatsächlich gebraucht worden war, hielt man ihn für entlarvt. Tatsächlich ist das Wort keine so selbständige Größe, es erhält seine Bedeutung nicht nur aus seiner Geschichte, geschweige aus einer bestimmten epochalen Prägung, sondern ebenso sehr aus seinem aktuellen Gebrauch, durch den Sprecher, der es verwendet, und den Sinn, den er ihm in seinem konkreten Zusammenhang gibt. Es ist plastisch. Die starre Entlarvungstechnik ist Unfug.

Aber auf der anderen Seite gilt: Ein Wort kommt nicht aus heiterem Himmel. Ihm haftet Geschichte an. Münteferings Heuschreckenschwärme sind archaischen Ursprungs, sie stammen aus dem Alten Testament, 2. Buch Mose, Kapitel 10: "Die achte Plage". Als Ägyptens Pharao Mose nicht gestatten wollte, das Volk Israel aus ägyptischer Knechtschaft in das Land der Verheißung zu führen, sandte Jahwe, der Herr, zehn Plagen, unter ihnen Stechmücken, Viehpest, Blattern und eben auch Heuschrecken. Es herrschte Ostwind, und sie kamen, so viele wie nie zuvor. "Denn sie bedeckten den Erdboden so dicht, dass er ganz dunkel wurde. Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs, und alle Früchte auf den Bäumen, die der Hagel übrig gelassen hatte, und ließen nichts Grünes übrig an den Bäumen und auf dem Felde in ganz Ägyptenland." - Donnerwetter! Tania Blixen hat die Heimsuchung ihrer Farm in Afrika durch eine Heuschreckenwolke genauso beschrieben.

Ob der Vorsitzende der SPD diesen Ursprung seines Vergleichs vor Augen hatte? Er scheint ihn öfter verwendet zu haben, zuerst wohl schon vor einem halben Jahr. Am 19. November 2004 sagte er gegen Schluss eines öffentlichen Vortrages in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin: "Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben. Kapitalismus ist keine Sache aus dem Museum, sondern brandaktuell." - Der Passus blieb unbeachtet.

Eine Rede auf dem 3. Programmforum der SPD am 13. April im Willy-Brandt-Haus in Berlin, bei der die Presse zugegen war, enthielt dann den Sachkern seiner Kapitalismuskritik in eingehend fundierter und verschärfter Fassung, allerdings ohne das Bild der Heuschreckenschwärme. Auch hier scheint die erste Wirkung verpufft zu sein. Man ging, wird berichtet, auseinander in dem Gefühl, es sei eine gute, aber nicht besonders auffällige Rede gewesen.



IG-Metall-Zeitschrift: Suggestives Insektenbild
Vor allem das Interview der "Bild am Sonntag" bewirkte die Initialzündung. Die Rede vom 13. April war eine sachlich begründete Analyse gewesen, jetzt, im Interview, wechselt Müntefering den Sprachtyp. Wir erleben ein Drama, eine Geschichte. Ein Einzelner wettert gegen die "wachsende Macht des Kapitals", wehrt sich gegen "Leute aus der Wirtschaft und den internationalen Finanzmärkten, die sich aufführen, als gäbe es für sie keine Schranken und Regeln mehr" und wendet sich gegen Investoren, die "keinen Gedanken an die Menschen" verschwenden, "deren Arbeitsplätze sie vernichten". Ein Einzelner kämpft, ist empört, urteilt und visualisiert sein Gegenüber: "Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir." - Woher die Wirkung?

Das Bild erlaubt eine Gestaltwahrnehmung. Abstrakte und komplizierte Vorgänge, denen der Akteur und eine Sinnrichtung zunächst zu fehlen scheinen, werden als Geschehen und Handlung vorstellbar und griffig. Man übersieht sie mit einem Blick, in einem Wort, und versteht: Heuschreckenschwärme vernichten unsere Arbeitsplätze. Die alte dem Bild zugeschriebene Funktion, dem, der nicht genug Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen, erfüllt sich.

Eine zweite Seite der Sache: Das Bild wirkt wie ein Argument. Wir nehmen ihm ab, was es sagt - und zwar im doppelten Sinn. Wir erschließen es aus dem Bild und folgen ihm, zumindest eine Strecke.

Die dritte Wirkung betrifft das Gebiet der Gefühle. Alles ist plausibel sichtbar und eingebettet in Gefühle und Wertungen. Anschauung und Gefühl hängen aufs engste zusammen. Wer intensiv etwas wünscht oder gereizt ist, neigt dazu, seinem Gefühl einen Anhalt, dem Gegner einen Umriss zu geben. Das Wort "Feindbild" ist ein sehr richtiger Ausdruck; der Feind ist nur in Bildern zu fassen.



DPA
Heuschrecken-Plage (Fuerteventura, 2004): Bildspender für archaische Wortfigur
Man kann diese trübsinnige Geschichte durch die Jahrhunderte verfolgen, auch ihre komische Seite. Als der junge Parzival auf der Gralsburg die Frage versäumt hat, die Anfortas von seinem Leiden erlöst hätte, wird er von der Gralsbotin Cundrie gescholten; "Natternzahn" nennt sie ihn und, offenbar das Äußerste des Äußersten: "Anglerfliege".

Die Geschichte des Christentums, die seiner Kriege mit den Ungläubigen, ist von Tiervergleichen begleitet. Im deutschen "Rolandslied" (um 1170) werden die Heiden, die an Mohammed glauben, mit heulenden, vertriebenen Hunden verglichen und auf der Flucht "sam daz vihe" - wie das Vieh - getötet. Der Vergleich der Gottlosen mit Hunden und Schweinen hat im Neuen Testament, in dem 2. Brief des Petrus, eine Quelle: Es seien unvernünftige Tiere, "die von Natur dazu geboren sind, dass sie gefangen und geschlachtet werden". Im "Wilhelm"-Epos des Wolfram von Eschenbach, auch dies eine Kreuzzugsdichtung (um 1220), widerspricht der Dichter ausdrücklich seinem rigorosen Vorgänger. Er nennt das Kriegsgeschehen dreimal "Mord" und erklärt es für große Sünde, die Fliehenden wie das Vieh zu erschlagen. Sie seien alle Gottes Handarbeit ("hantgetât"), die 72 Völker, die er habe.

Ein fataler, ihre Adressaten brutal erniedrigender Assoziationsraum sind die Feindbilder der NS-Zeit, die Bilder von Parasiten, Maden, Ungeziefer und die zu ihnen gehörenden Tätigkeitswörter: ausmerzen, vertilgen, vernichten. Mit Recht gilt die Grenze vor dieser Sprachwelt als unüberschreitbar.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Wo liegt der Vergleichspunkt, das Tertium Comparationis, das gemeinsame Dritte, wenn eine in Deutschland neue Investorengruppe als "Heuschreckenschwarm" bezeichnet wird? Ist es die Kleinheit der Agenten? Doch wohl kaum. Ist es ihre Unzahl? Das scheint eher gemeint gewesen zu sein. Dem Bild der verheerenden Heuschreckenwolke verdankt der Vergleich einen erheblichen Teil seiner Wirkung. Ob es zutrifft auf die am Ende kleine Liste der Gemeinten, ist eine ganz andere Frage. Sind es die Kauwerkzeuge, der Kahlfraß? Daran vor allem war ausdrücklich gedacht, an das Abgrasen und Liegenlassen; hier bedürfte es aber eingehender Beweisführung. Ist es der biblische Zusammenhang? Investoren als Plage und als Strafe Jehovas? - Kommt nicht in Frage.

Der Einbruch einer gedankenlosen, blinden Naturgewalt? - Der Vergleich hinkt auf mehr als zwei Beinen, an dieser Stelle wird ein grundfalscher Begriff erzeugt. Die Ökonomie ist keine Natur-, sondern eine Kulturgewalt. Sie folgt nicht einer blinden, sondern ihrer eigenen Logik, ihren Spielregeln. Das Kernproblem ist, dass diese Spielregeln sich zwar für die Sozietät günstig auswirken können, aber nicht müssen. Sie sind von Haus aus keine Sozialwerkzeuge und können schaden. Zwischen der Räson der Ökonomie, insbesondere der Weltökonomie, und der Räson des Nationalstaats ist eine sich rasch vertiefende Kluft entstanden. Dafür, für die soziale Verantwortung und Bindung der Ökonomie, fehlt ein Rezept, fehlen vielleicht sogar praktikable Vorschläge. Umso schiefer der Vergleich!

Ein Reiz kann eine Debatte fördern, sogar erst hervorbringen. Man sollte das Einzelwort als Größe nicht überschätzen, es kommt auf den Kontext an. Vielleicht waren die Heuschreckenschwärme nur als Reizvokabel, als Tabubrecher gemeint? Nicht ungefährlich - doch nichts wäre nutzloser als eine Bilderstarre. Aber wenn die Tierchen als Türöffner wirkten, wäre viel gewonnen.

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